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Der Verlust politischer Gleichheit
Warum die sinkende Wahlbeteiligung der Demokratie schadet, Schriften aus dem Max-Planck-Institut für...
Taschenbuch von Armin Schäfer
Sprache: Deutsch

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Beschreibung
Kapitel 1
Einleitung
Der Grundgedanke der Demokratie ist einfach. In einem politischen Gemeinwesen müssen Entscheidungen getroffen werden, die potenziell alle betreff en, gleichzeitig jedoch umstritten sind. Da es keinen objektiven Maßstab gibt, der eindeutige Handlungsempfehlungen vorgibt, muss ein Verfahren gefunden werden, das widerstreitende Meinungen berücksichtigt, ohne zu vollständiger Blockade zu führen. Strittige Entscheidungen werden legitimiert, indem auch die Unterlegenen das Verfahren als fair anerkennen, das heißt, wenn ihre Meinung beachtet wurde und sie erwarten können, nicht dauerhaft zu den Verlierern zu gehören. Legitime politische Entscheidungen gehen demnach aus Verfahren hervor, die frei von Willkür sind und niemanden privilegieren. Um dies zu erreichen, müssen Bürgerinnen und Bürger als Gleiche behandelt werden, wie unterschiedlich sie tatsächlich auch sein mögen. Am klarsten kommt dies im Prinzip zum Ausdruck, dass jeder erwachsene Staatsbürger bei Wahlen die gleiche Stimmenzahl erhält.1 In seiner Studie zu Demokratietheorien von der Antike bis zur Gegenwart hält Schmidt (2010: 17; Hervorh. nicht im Orig.) deshalb gleich zu Beginn fest, dass Demokratien "der Anspruch gemeinsam [ist], die Herrschaft im Staate auf die Norm politischer Gleichheit der Vollbürger zu verpflichten, auf den Willen der Gesamtheit oder zumindest eines maßgebenden Teils der Stimmbürgerschaft zu gründen und die zeitlich befristet Regierenden auf Rechenschaft gegenüber den Regierten festzulegen". Gutman (2003: 169) sieht in "gleicher politischer Freiheit" das definierende Merkmal der Demokratie.
Vielen Gegnern diente gerade das Gleichheitsversprechen der Demokratie als Ausweis ihrer Unzulänglichkeit, erschien es ihnen doch als offensichtlich, dass Frauen und Fremde, Besitzlose und Ungebildete nicht fähig seien, politisch vernünftig zu urteilen. Politische Gleichheit musste aus ihrer Sicht zur Herrschaft der Unvernunft führen, wenn Arbeiter oder ungebildete Massen das Wahlrecht erhalten. Selbst ein progressiver Liberaler wie John Stuart Mill ([1861]1958: 135, 138) schlägt in Considerations on Representative Government vor, ein nach Berufsgruppen gestaffeltes Pluralstimmrecht einzuführen, um einen übergroßen Einfluss von einfachen Arbeitern zu verhindern. Im Argument, nur wenige verfügten über die Kompetenz, Politik verstehen und weise regieren zu können, erkennen Walzer (1983: 285) und Dahl (1989: 59) übereinstimmend den Prototypen undemokratischen Denkens. Doch während daraus bis in das 20. Jahrhundert abgeleitet wurde, vermeintlich inkompetenten Gruppen das Wahlrecht vorzuenthalten, gibt es heute, zumindest in den westlichen Demokratien, kaum noch Stimmen, die die formale politische Gleichstellung der erwachsenen Staatsbürgerinnen und -bürger ablehnen. Im historischen Vergleich erscheint die Demokratie inklusiver als jemals zuvor, weshalb von einem Siegeszug demokratischer Gleichheit gesprochen werden kann.
Vor dem Hintergrund dieser Erfolgsgeschichte muss der Verweis auf eine Krise der Demokratie unbegründet wirken - und doch finden sich immer wieder Stimmen, die genau dies diagnostizieren. In den Siebzigerjahren des 20. Jahrhunderts erschien der Fortbestand der Demokratie konservativen wie linken Kritikern unsicher (siehe Schäfer 2008; Streeck 2013: 23-27). Die damals rasch anwachsende Literatur zur "Unregierbarkeit" ist gespickt mit dramatischen Formulierungen und Untergangsszenarien. So äußert Brittan (1975: 129) die Vermutung, die Demokratie werde noch zu Lebzeiten der damals Erwachsenen dahinscheiden. Crozier und seine Koautoren (1975: 2) zitieren Willy Brandt, der ebenso den Untergang der Demokratie für die folgenden zwanzig bis dreißig Jahre vorausgesagt haben soll. Schließlich sieht Hennis (1977: 20) zwar nicht den Staat, wohl aber die "spezifisch abendländische Weise des Regierens" vom Absterben bedroht an. Vor allem starke Gewerkschaften, hohe Inflationsraten und wachsende Ansprüche der Bürgerinnen un
Kapitel 1
Einleitung
Der Grundgedanke der Demokratie ist einfach. In einem politischen Gemeinwesen müssen Entscheidungen getroffen werden, die potenziell alle betreff en, gleichzeitig jedoch umstritten sind. Da es keinen objektiven Maßstab gibt, der eindeutige Handlungsempfehlungen vorgibt, muss ein Verfahren gefunden werden, das widerstreitende Meinungen berücksichtigt, ohne zu vollständiger Blockade zu führen. Strittige Entscheidungen werden legitimiert, indem auch die Unterlegenen das Verfahren als fair anerkennen, das heißt, wenn ihre Meinung beachtet wurde und sie erwarten können, nicht dauerhaft zu den Verlierern zu gehören. Legitime politische Entscheidungen gehen demnach aus Verfahren hervor, die frei von Willkür sind und niemanden privilegieren. Um dies zu erreichen, müssen Bürgerinnen und Bürger als Gleiche behandelt werden, wie unterschiedlich sie tatsächlich auch sein mögen. Am klarsten kommt dies im Prinzip zum Ausdruck, dass jeder erwachsene Staatsbürger bei Wahlen die gleiche Stimmenzahl erhält.1 In seiner Studie zu Demokratietheorien von der Antike bis zur Gegenwart hält Schmidt (2010: 17; Hervorh. nicht im Orig.) deshalb gleich zu Beginn fest, dass Demokratien "der Anspruch gemeinsam [ist], die Herrschaft im Staate auf die Norm politischer Gleichheit der Vollbürger zu verpflichten, auf den Willen der Gesamtheit oder zumindest eines maßgebenden Teils der Stimmbürgerschaft zu gründen und die zeitlich befristet Regierenden auf Rechenschaft gegenüber den Regierten festzulegen". Gutman (2003: 169) sieht in "gleicher politischer Freiheit" das definierende Merkmal der Demokratie.
Vielen Gegnern diente gerade das Gleichheitsversprechen der Demokratie als Ausweis ihrer Unzulänglichkeit, erschien es ihnen doch als offensichtlich, dass Frauen und Fremde, Besitzlose und Ungebildete nicht fähig seien, politisch vernünftig zu urteilen. Politische Gleichheit musste aus ihrer Sicht zur Herrschaft der Unvernunft führen, wenn Arbeiter oder ungebildete Massen das Wahlrecht erhalten. Selbst ein progressiver Liberaler wie John Stuart Mill ([1861]1958: 135, 138) schlägt in Considerations on Representative Government vor, ein nach Berufsgruppen gestaffeltes Pluralstimmrecht einzuführen, um einen übergroßen Einfluss von einfachen Arbeitern zu verhindern. Im Argument, nur wenige verfügten über die Kompetenz, Politik verstehen und weise regieren zu können, erkennen Walzer (1983: 285) und Dahl (1989: 59) übereinstimmend den Prototypen undemokratischen Denkens. Doch während daraus bis in das 20. Jahrhundert abgeleitet wurde, vermeintlich inkompetenten Gruppen das Wahlrecht vorzuenthalten, gibt es heute, zumindest in den westlichen Demokratien, kaum noch Stimmen, die die formale politische Gleichstellung der erwachsenen Staatsbürgerinnen und -bürger ablehnen. Im historischen Vergleich erscheint die Demokratie inklusiver als jemals zuvor, weshalb von einem Siegeszug demokratischer Gleichheit gesprochen werden kann.
Vor dem Hintergrund dieser Erfolgsgeschichte muss der Verweis auf eine Krise der Demokratie unbegründet wirken - und doch finden sich immer wieder Stimmen, die genau dies diagnostizieren. In den Siebzigerjahren des 20. Jahrhunderts erschien der Fortbestand der Demokratie konservativen wie linken Kritikern unsicher (siehe Schäfer 2008; Streeck 2013: 23-27). Die damals rasch anwachsende Literatur zur "Unregierbarkeit" ist gespickt mit dramatischen Formulierungen und Untergangsszenarien. So äußert Brittan (1975: 129) die Vermutung, die Demokratie werde noch zu Lebzeiten der damals Erwachsenen dahinscheiden. Crozier und seine Koautoren (1975: 2) zitieren Willy Brandt, der ebenso den Untergang der Demokratie für die folgenden zwanzig bis dreißig Jahre vorausgesagt haben soll. Schließlich sieht Hennis (1977: 20) zwar nicht den Staat, wohl aber die "spezifisch abendländische Weise des Regierens" vom Absterben bedroht an. Vor allem starke Gewerkschaften, hohe Inflationsraten und wachsende Ansprüche der Bürgerinnen un
Details
Erscheinungsjahr: 2015
Medium: Taschenbuch
Seiten: 332
Titelzusatz: Warum die sinkende Wahlbeteiligung der Demokratie schadet, Schriften aus dem Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung 81, Schriften aus dem MPI für Gesellschaftsforschung 81
Inhalt: 332 S.
div. Abbildungen und Tabellen
ISBN-13: 9783593501987
ISBN-10: 3593501988
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Autor: Schäfer, Armin
Auflage: 1/2015
campus verlag: Campus Verlag
Maße: 215 x 142 x 22 mm
Von/Mit: Armin Schäfer
Erscheinungsdatum: 15.01.2015
Gewicht: 0,428 kg
preigu-id: 105294639
Details
Erscheinungsjahr: 2015
Medium: Taschenbuch
Seiten: 332
Titelzusatz: Warum die sinkende Wahlbeteiligung der Demokratie schadet, Schriften aus dem Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung 81, Schriften aus dem MPI für Gesellschaftsforschung 81
Inhalt: 332 S.
div. Abbildungen und Tabellen
ISBN-13: 9783593501987
ISBN-10: 3593501988
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Autor: Schäfer, Armin
Auflage: 1/2015
campus verlag: Campus Verlag
Maße: 215 x 142 x 22 mm
Von/Mit: Armin Schäfer
Erscheinungsdatum: 15.01.2015
Gewicht: 0,428 kg
preigu-id: 105294639
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