Dekorationsartikel gehören nicht zum Leistungsumfang.
Artenwissen stärken, Artenvielfalt erhalten
Dokumentation des Statuskolloquiums der Akademie für Natur- und Umweltschutz Baden-Württemberg zum Auftakt der...
Taschenbuch von Michael Eick (u. a.)
Sprache: Deutsch

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Beschreibung

Inhalt

Gedanken zum Thema

Michael Eick

Die Herausforderung Wissenserosion in Sachen Biologischer Vielfalt annehmen - Die Landesinitiative »Integrative Taxonomie Baden-Württemberg«

Claus-Peter Hutter

Themenkreis 1: Artenkennerinnen und Artenkenner gesucht!

Wo stehen wir und wohin wollen wir? - Zur Strategie des Bundesweiten Arbeitskreises der Umweltakademien (BANU) in Deutschland

Roland Horne

Taxonomie gestern - heute - morgen

Dr. Christian König und Prof. i. R. Dr. Michael Schmitt

Bildungsrelevante Aspekte von Taxonomie und Artenkenntnis

Dr. Clemens Becker, Dr. Rainer Drös, apl. Prof. Dr. Eberhard Frey, Prof. Dr. Norbert Lenz, Prof. Dr. Andreas Martens, Prof. Dr. Peter Nick, Tina Roth, Dr. Josef Simmel, Dr. Ulrike Stephan, Dr. Urszula Weclawski

Taxonomie - was die Praxis erfordert

Interview mit Prof. Dr. Lars Krogmann

Taxonomie - Was die Hochschulbildung leisten muss

Interview mit Prof. Dr. Johannes Steidle

Welche Standards wollen wir? - Qualitätssicherung bei der Reetablierung von taxonomischem Wissen. Ein Beispiel aus der Botanik

Dr. Patrick Kuss

Sicherung taxonomischen Wissens - Ein Situationsbericht aus Österreich

Dr. Luise Schratt-Ehrendorfer

Ausbildung zu »Artenkennern« ist wichtig! Die »Initiative Artenkenntnis« des Landesnaturschutzverbandes (LNV) Baden-Württemberg

Prof. Dr. Albert Reif und Dr. Gerhard Bronner

Themenkreis 2: Berichte der BANU-Akademien aus den Bundesländern

Bericht aus Baden-Württemberg (Dr. Karin Blessing)

Bericht aus Bayern (Dieter Pasch)

Bericht aus Rheinland-Pfalz (Dr. Susanne Müller)

Bericht aus Mecklenburg-Vorpommern (Dr. Jan Dieminger)

Bericht aus Niedersachsen (Dr. Eick von Ruschkowski)

Bericht aus Sachsen (Simona Kahle)

Bericht aus Nordrhein-Westfalen (Norbert Blumenroth)

Bericht aus Hessen (Albert Langsdorf)

Bericht aus Berlin (Dr. Nicola Gaedeke)

Themenkreis 3: Ein Ausblick

Praktikerinnen und Praktiker fragen, Akademikerinnen und Akademiker antworten

Thomas Breunig, Renate Kübler, Dr. Rainer Oppermann

Künstliche Intelligenz im Natur-und Artenschutz

Prof. Dr.-Ing., Dr. h.c., Dr. h.c. Prof. e.h. Michael M. Resch

Anhang

Die Herausforderung Wissenserosion in Sachen Biologischer Vielfalt annehmen - Die Landesinitiative »Integrative Taxonomie Baden-Württemberg«

Claus-Peter Hutter

Artenwissen ist der Schlüssel zum Erhalt der biologischen Vielfalt. Ihr Schutz zählt, neben dem Klimawandel, zu den zentralen Themen unserer Zeit. Heutzutage sind mehr Tier- und Pflanzenarten vom Aussterben bedroht als jemals zuvor. Nicht nur weltweit, sondern auch vor der eigenen Haustüre. Die Herausforderungen, vor denen Gesellschaft und Politik damit stehen, sind gewaltig. Wer hochgradig gefährdete Arten schützen, Biodiversität erhalten und weiterentwickeln will, braucht Artenwissen. Doch daran hapert es mehr und mehr.

Nicht nur etliche Pflanzen- und Tierarten - auch Zoologinnen und Zoologen, Botanikerinnen und Botaniker stehen zwischenzeitlich auf der Roten Liste, weil in den letzten 20 Jahren Genetik und Molekularbiologie in Biologie-Studiengängen stärker gefördert wurden, als Zoologie und Botanik. Auch in der Bevölkerung nimmt die Zahl derer, die tatsächlich noch wissen, was in der Natur kreucht und fleucht, ständig ab. Da verwundert es nicht, wenn sich Erzieherinnen und Erzieher, Grundschul- und sogar Biologielehrerinnen und -lehrer nicht mehr in der Natur auskennen und sich Eltern und Kinder zunehmend von ihr entfernen. Mit dramatischen Folgen.

Artenwissen ist für den Erhalt der Biodiversität unverzichtbar. Es genügt nicht, Arten zu kennen (Angres & Hutter 2018, Blessing 2010, Blessing 2008). Es müssen wieder die Zusammenhänge zwischen Landbewirtschaftung und Kulturlandschaft, Verbraucherverhalten und Lebensstil, Ernährung und Gesundheit aufgezeigt werden. Dass selbst Biologinnen und Biologen von Planungsbüros, Natur- und Umweltschutzbehörden gezwungen sind, Fortbildungen zu besuchen, weil ihnen zoologisches und botanisches Know-how fehlt, um etwa Bauprojekte rechtssicher zu planen und Schutzgebiete zu entwickeln, ist mehr als alarmierend. Das lässt erahnen, wie eklatant der Mangel an Artenwissen erst in der Bevölkerung ausfällt. Es braucht ein breites Bündnis von Wissenschaft, Fachplanung, Behörden und Naturschutzpraxis, um taxonomisches Wissen wieder breit in verschiedenen Gesellschaftsbereichen zu verankern.

Das aktuelle Wissensdefizit darf zu keiner weiteren Verschärfung der Umweltkrise führen. Die Folgen einer Baupolitik, die in den letzten 60 Jahren bundesweit nahezu zu einer Verdoppelung (Umweltbundesamt 2020) der Siedlungs- und Verkehrsflächen geführt hat, und die Konsequenzen eines auf endlichen Ressourcen gebauten Wirtschaftswachstums, fallen uns jetzt schon hart auf die Füße. Die aktuellen Umweltprobleme verlangen ein nachhaltiges Verhalten auf zahlreichen Ebenen, etwa in der kommunalen Baupolitik oder bei persönlichen Konsummustern und Lebensstilen. Die ganzheitliche Vermittlung ökologischer, zoologischer und botanischer Zusammenhänge ist daher wichtig, ja sogar essentiell. Schließlich geht es um nichts Geringeres als unser aller Lebensgrundlage, die wir für uns und nachfolgende Generationen erhalten müssen.

Die Entfremdung von der Natur oder - wie amerikanische Forscherinnen und Forscher das Phänomen treffend auf den Punkt bringen - die «Nature Deficit Disorder» schlägt sich inzwischen auch in unserer Kommunikationskultur nieder. Rund 6.000 Liedtexte und mindestens ebenso viele Romane und Drehbücher, die seit 1900 erschienen sind, haben die Psychologinnen Selin und Pelin Kesebir auf Naturbegriffe untersucht (Kesebir und Kesebir 2017: 260). Das Resultat der im März 2017 erschienen Studie: Seit den Fünfzigerjahren gehen im Sprachgebrauch neben Blumen-, Vogel- und Baumnamen auch zahlreiche Naturbegriffe, wie etwa Weide, Mondschein oder Sonnenuntergang, verloren. Unter Berufung auf neuere Umfragen stellen die Naturcamps Hunsrück fest, dass gerade einmal «sechs Prozent der Heranwachsenden zwischen Kindergarten und weiterführender Schule wissen, dass der Hirsch nicht der Mann vom Reh ist» (Naturcamps Hunsrück 2015). Selbst bei Lehrerinnen und Lehrern laute die Antwort auf die entsprechende Frage nicht zwangsläufig «Rehbock» (ebd.).

Neue Technologien und Medien verändern das Freizeitverhalten. Der Drang, sich draußen in der Natur auszutoben, ist zusehends den Erholungs- und Unterhaltungsmöglichkeiten gewichen, die sich in den eigenen vier Wänden bieten. Über Fantasietiere der Serie Pokémon wissen Kinder zwischenzeitlich mehr, als über Meise, Kleiber und Co. Sicher spielt bei dieser Entwicklung auch die Tatsache eine Rolle, dass die Mehrheit der Menschen in urbanen Räumen zuhause ist. Von 1950 bis 2015 hat sich der Anteil derjenigen, die in Städten leben, in den Industrieländern auf 78,3 Prozent erhöht (Bundeszentrale für politische Bildung 2017). Ein Trend, der bis 2050 nicht abreißen wird (ebd.). Zwischen Hochhaus, Supermarkt und den grauen Bändern der Straßenzüge lassen sich kaum Pflanzen studieren oder Baumhäuser bauen. Davon abgesehen wartet die Stadt mit vielen Verlockungen auf.

Ob Kino, Freibad, Skateranlage, Feste, Konzerte oder Aktionen für Kinder und Jugendliche im Quartier - wer was erleben will, muss nicht weit gehen. Der sonntägliche Familienspaziergang in Wald und Flur steht in scharfer Konkurrenz. Die Folge all dessen: Schwindende Naturkontakte und -erfahrungen. Auf diese Art hat schon die Elterngeneration wichtige Verbindungen zu unseren arteigenen Biotopen verloren und kann sie für den Nachwuchs nicht mehr knüpfen. So ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass die Macherinnen und Macher der Naturcamps Hunsrück bei ihrer Bildungs- und Naturerlebnisarbeit stets aufs Neue die Erfahrung machen, dass «Kinder nicht freiwillig in den Wald gehen wollen, [weil es dort] Tollwut, Fuchsbandwürmer, Zecken und böse Menschen [gibt]» (Naturcamps Hunsrück 2015). Diese Entwicklung ist mehr als besorgniserregend, sie ist dramatisch. Denn wer keine zoologischen und botanischen Zusammenhänge kennt, kann auch nicht zum Schutz der Natur beitragen. Ohne Wissen fehlen auch die nötigen Kompetenzen, Verbindungen zwischen Umweltschutz und eigenem Konsummuster und Lebensstil zu knüpfen.

Deshalb wurde in Baden-Württemberg die Initiative «Integrative Taxonomie» ins Leben gerufen. Ziel ist es, die Fachexpertise zur biologischen Vielfalt landesweit zu stärken, auszubauen und dauerhaft in der Gesellschaft zu verankern. Die Initiative soll Wissenschaft, Forschung, Fort- und Weiterbildung praxisnah unter einem Dach vereinen. In diesem Zusammenhang sind zwei neue Professuren im Bereich «Integrative Taxonomie der Insekten» an der Uni Hohenheim und im Bereich «Biodiversitätsmonitoring» als gemeinsame Berufung der Hochschule und dem Staatlichen Museum für Naturkunde Stuttgart geschaffen worden. Im Rahmen der Initiative werden sie für die wissenschaftliche Lehre und Forschung im Kompetenzzentrum »Biodiversität und integrative Taxonomie« (KomBioTa) an der Universität Hohenheim zusammengeführt, das die artenbezogene Biodiversitätsforschung damit auf ein neues Level hebt. Die Sammlung des Naturkundemuseums Stuttgart ist ein zentraler Baustein der Landesinitiative. Sie ist nicht nur weltweit vernetzt, sondern international auch von wissenschaftlicher Bedeutung. Damit tun sich gerade in Forschung und Lehre mit Blick auf biologische Vielfalt und Evolution - den Kernbereichen der Einrichtung - viele Entwicklungspotenziale auf.

Im Zuge der Initiative wird die zum Umweltministerium gehörende Umweltakademie Baden-Württemberg zu einem zielgruppenspezifischen Zentrum für Fort- und Weiterbildung ausgebaut. In diesen Zusammenhang ist die Bildungseinrichtung um fünf Personalstellen aufgestockt worden. Sie bietet seit vielen Jahren...

Inhalt

Gedanken zum Thema

Michael Eick

Die Herausforderung Wissenserosion in Sachen Biologischer Vielfalt annehmen - Die Landesinitiative »Integrative Taxonomie Baden-Württemberg«

Claus-Peter Hutter

Themenkreis 1: Artenkennerinnen und Artenkenner gesucht!

Wo stehen wir und wohin wollen wir? - Zur Strategie des Bundesweiten Arbeitskreises der Umweltakademien (BANU) in Deutschland

Roland Horne

Taxonomie gestern - heute - morgen

Dr. Christian König und Prof. i. R. Dr. Michael Schmitt

Bildungsrelevante Aspekte von Taxonomie und Artenkenntnis

Dr. Clemens Becker, Dr. Rainer Drös, apl. Prof. Dr. Eberhard Frey, Prof. Dr. Norbert Lenz, Prof. Dr. Andreas Martens, Prof. Dr. Peter Nick, Tina Roth, Dr. Josef Simmel, Dr. Ulrike Stephan, Dr. Urszula Weclawski

Taxonomie - was die Praxis erfordert

Interview mit Prof. Dr. Lars Krogmann

Taxonomie - Was die Hochschulbildung leisten muss

Interview mit Prof. Dr. Johannes Steidle

Welche Standards wollen wir? - Qualitätssicherung bei der Reetablierung von taxonomischem Wissen. Ein Beispiel aus der Botanik

Dr. Patrick Kuss

Sicherung taxonomischen Wissens - Ein Situationsbericht aus Österreich

Dr. Luise Schratt-Ehrendorfer

Ausbildung zu »Artenkennern« ist wichtig! Die »Initiative Artenkenntnis« des Landesnaturschutzverbandes (LNV) Baden-Württemberg

Prof. Dr. Albert Reif und Dr. Gerhard Bronner

Themenkreis 2: Berichte der BANU-Akademien aus den Bundesländern

Bericht aus Baden-Württemberg (Dr. Karin Blessing)

Bericht aus Bayern (Dieter Pasch)

Bericht aus Rheinland-Pfalz (Dr. Susanne Müller)

Bericht aus Mecklenburg-Vorpommern (Dr. Jan Dieminger)

Bericht aus Niedersachsen (Dr. Eick von Ruschkowski)

Bericht aus Sachsen (Simona Kahle)

Bericht aus Nordrhein-Westfalen (Norbert Blumenroth)

Bericht aus Hessen (Albert Langsdorf)

Bericht aus Berlin (Dr. Nicola Gaedeke)

Themenkreis 3: Ein Ausblick

Praktikerinnen und Praktiker fragen, Akademikerinnen und Akademiker antworten

Thomas Breunig, Renate Kübler, Dr. Rainer Oppermann

Künstliche Intelligenz im Natur-und Artenschutz

Prof. Dr.-Ing., Dr. h.c., Dr. h.c. Prof. e.h. Michael M. Resch

Anhang

Die Herausforderung Wissenserosion in Sachen Biologischer Vielfalt annehmen - Die Landesinitiative »Integrative Taxonomie Baden-Württemberg«

Claus-Peter Hutter

Artenwissen ist der Schlüssel zum Erhalt der biologischen Vielfalt. Ihr Schutz zählt, neben dem Klimawandel, zu den zentralen Themen unserer Zeit. Heutzutage sind mehr Tier- und Pflanzenarten vom Aussterben bedroht als jemals zuvor. Nicht nur weltweit, sondern auch vor der eigenen Haustüre. Die Herausforderungen, vor denen Gesellschaft und Politik damit stehen, sind gewaltig. Wer hochgradig gefährdete Arten schützen, Biodiversität erhalten und weiterentwickeln will, braucht Artenwissen. Doch daran hapert es mehr und mehr.

Nicht nur etliche Pflanzen- und Tierarten - auch Zoologinnen und Zoologen, Botanikerinnen und Botaniker stehen zwischenzeitlich auf der Roten Liste, weil in den letzten 20 Jahren Genetik und Molekularbiologie in Biologie-Studiengängen stärker gefördert wurden, als Zoologie und Botanik. Auch in der Bevölkerung nimmt die Zahl derer, die tatsächlich noch wissen, was in der Natur kreucht und fleucht, ständig ab. Da verwundert es nicht, wenn sich Erzieherinnen und Erzieher, Grundschul- und sogar Biologielehrerinnen und -lehrer nicht mehr in der Natur auskennen und sich Eltern und Kinder zunehmend von ihr entfernen. Mit dramatischen Folgen.

Artenwissen ist für den Erhalt der Biodiversität unverzichtbar. Es genügt nicht, Arten zu kennen (Angres & Hutter 2018, Blessing 2010, Blessing 2008). Es müssen wieder die Zusammenhänge zwischen Landbewirtschaftung und Kulturlandschaft, Verbraucherverhalten und Lebensstil, Ernährung und Gesundheit aufgezeigt werden. Dass selbst Biologinnen und Biologen von Planungsbüros, Natur- und Umweltschutzbehörden gezwungen sind, Fortbildungen zu besuchen, weil ihnen zoologisches und botanisches Know-how fehlt, um etwa Bauprojekte rechtssicher zu planen und Schutzgebiete zu entwickeln, ist mehr als alarmierend. Das lässt erahnen, wie eklatant der Mangel an Artenwissen erst in der Bevölkerung ausfällt. Es braucht ein breites Bündnis von Wissenschaft, Fachplanung, Behörden und Naturschutzpraxis, um taxonomisches Wissen wieder breit in verschiedenen Gesellschaftsbereichen zu verankern.

Das aktuelle Wissensdefizit darf zu keiner weiteren Verschärfung der Umweltkrise führen. Die Folgen einer Baupolitik, die in den letzten 60 Jahren bundesweit nahezu zu einer Verdoppelung (Umweltbundesamt 2020) der Siedlungs- und Verkehrsflächen geführt hat, und die Konsequenzen eines auf endlichen Ressourcen gebauten Wirtschaftswachstums, fallen uns jetzt schon hart auf die Füße. Die aktuellen Umweltprobleme verlangen ein nachhaltiges Verhalten auf zahlreichen Ebenen, etwa in der kommunalen Baupolitik oder bei persönlichen Konsummustern und Lebensstilen. Die ganzheitliche Vermittlung ökologischer, zoologischer und botanischer Zusammenhänge ist daher wichtig, ja sogar essentiell. Schließlich geht es um nichts Geringeres als unser aller Lebensgrundlage, die wir für uns und nachfolgende Generationen erhalten müssen.

Die Entfremdung von der Natur oder - wie amerikanische Forscherinnen und Forscher das Phänomen treffend auf den Punkt bringen - die «Nature Deficit Disorder» schlägt sich inzwischen auch in unserer Kommunikationskultur nieder. Rund 6.000 Liedtexte und mindestens ebenso viele Romane und Drehbücher, die seit 1900 erschienen sind, haben die Psychologinnen Selin und Pelin Kesebir auf Naturbegriffe untersucht (Kesebir und Kesebir 2017: 260). Das Resultat der im März 2017 erschienen Studie: Seit den Fünfzigerjahren gehen im Sprachgebrauch neben Blumen-, Vogel- und Baumnamen auch zahlreiche Naturbegriffe, wie etwa Weide, Mondschein oder Sonnenuntergang, verloren. Unter Berufung auf neuere Umfragen stellen die Naturcamps Hunsrück fest, dass gerade einmal «sechs Prozent der Heranwachsenden zwischen Kindergarten und weiterführender Schule wissen, dass der Hirsch nicht der Mann vom Reh ist» (Naturcamps Hunsrück 2015). Selbst bei Lehrerinnen und Lehrern laute die Antwort auf die entsprechende Frage nicht zwangsläufig «Rehbock» (ebd.).

Neue Technologien und Medien verändern das Freizeitverhalten. Der Drang, sich draußen in der Natur auszutoben, ist zusehends den Erholungs- und Unterhaltungsmöglichkeiten gewichen, die sich in den eigenen vier Wänden bieten. Über Fantasietiere der Serie Pokémon wissen Kinder zwischenzeitlich mehr, als über Meise, Kleiber und Co. Sicher spielt bei dieser Entwicklung auch die Tatsache eine Rolle, dass die Mehrheit der Menschen in urbanen Räumen zuhause ist. Von 1950 bis 2015 hat sich der Anteil derjenigen, die in Städten leben, in den Industrieländern auf 78,3 Prozent erhöht (Bundeszentrale für politische Bildung 2017). Ein Trend, der bis 2050 nicht abreißen wird (ebd.). Zwischen Hochhaus, Supermarkt und den grauen Bändern der Straßenzüge lassen sich kaum Pflanzen studieren oder Baumhäuser bauen. Davon abgesehen wartet die Stadt mit vielen Verlockungen auf.

Ob Kino, Freibad, Skateranlage, Feste, Konzerte oder Aktionen für Kinder und Jugendliche im Quartier - wer was erleben will, muss nicht weit gehen. Der sonntägliche Familienspaziergang in Wald und Flur steht in scharfer Konkurrenz. Die Folge all dessen: Schwindende Naturkontakte und -erfahrungen. Auf diese Art hat schon die Elterngeneration wichtige Verbindungen zu unseren arteigenen Biotopen verloren und kann sie für den Nachwuchs nicht mehr knüpfen. So ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass die Macherinnen und Macher der Naturcamps Hunsrück bei ihrer Bildungs- und Naturerlebnisarbeit stets aufs Neue die Erfahrung machen, dass «Kinder nicht freiwillig in den Wald gehen wollen, [weil es dort] Tollwut, Fuchsbandwürmer, Zecken und böse Menschen [gibt]» (Naturcamps Hunsrück 2015). Diese Entwicklung ist mehr als besorgniserregend, sie ist dramatisch. Denn wer keine zoologischen und botanischen Zusammenhänge kennt, kann auch nicht zum Schutz der Natur beitragen. Ohne Wissen fehlen auch die nötigen Kompetenzen, Verbindungen zwischen Umweltschutz und eigenem Konsummuster und Lebensstil zu knüpfen.

Deshalb wurde in Baden-Württemberg die Initiative «Integrative Taxonomie» ins Leben gerufen. Ziel ist es, die Fachexpertise zur biologischen Vielfalt landesweit zu stärken, auszubauen und dauerhaft in der Gesellschaft zu verankern. Die Initiative soll Wissenschaft, Forschung, Fort- und Weiterbildung praxisnah unter einem Dach vereinen. In diesem Zusammenhang sind zwei neue Professuren im Bereich «Integrative Taxonomie der Insekten» an der Uni Hohenheim und im Bereich «Biodiversitätsmonitoring» als gemeinsame Berufung der Hochschule und dem Staatlichen Museum für Naturkunde Stuttgart geschaffen worden. Im Rahmen der Initiative werden sie für die wissenschaftliche Lehre und Forschung im Kompetenzzentrum »Biodiversität und integrative Taxonomie« (KomBioTa) an der Universität Hohenheim zusammengeführt, das die artenbezogene Biodiversitätsforschung damit auf ein neues Level hebt. Die Sammlung des Naturkundemuseums Stuttgart ist ein zentraler Baustein der Landesinitiative. Sie ist nicht nur weltweit vernetzt, sondern international auch von wissenschaftlicher Bedeutung. Damit tun sich gerade in Forschung und Lehre mit Blick auf biologische Vielfalt und Evolution - den Kernbereichen der Einrichtung - viele Entwicklungspotenziale auf.

Im Zuge der Initiative wird die zum Umweltministerium gehörende Umweltakademie Baden-Württemberg zu einem zielgruppenspezifischen Zentrum für Fort- und Weiterbildung ausgebaut. In diesen Zusammenhang ist die Bildungseinrichtung um fünf Personalstellen aufgestockt worden. Sie bietet seit vielen Jahren...

Details
Erscheinungsjahr: 2023
Fachbereich: Populäre Darstellungen
Genre: Politikwissenschaft & Soziologie
Rubrik: Wissenschaften
Medium: Taschenbuch
Seiten: 124
Titelzusatz: Dokumentation des Statuskolloquiums der Akademie für Natur- und Umweltschutz Baden-Württemberg zum Auftakt der Initiative Integrative Taxonomie des Landes Baden-Württemberg
Reihe: Beiträge der Akademie für Natur-und Umweltschutz B.-W
Inhalt: 124 S.
ISBN-13: 9783777633176
ISBN-10: 3777633178
Sprache: Deutsch
Herstellernummer: 300003317
Einband: Kartoniert / Broschiert
Redaktion: Eick, Michael
Baumgärtner, Daniel
Akademie für Natur- und Umweltschutz
Herausgeber: Michael Eick/Daniel Baumgärtner/Akademie für Natur- und Umweltschutz
Hersteller: Hirzel S. Verlag
S. Hirzel Verlag GmbH
Maße: 226 x 155 x 17 mm
Von/Mit: Michael Eick (u. a.)
Erscheinungsdatum: 23.01.2023
Gewicht: 0,21 kg
preigu-id: 126481740
Details
Erscheinungsjahr: 2023
Fachbereich: Populäre Darstellungen
Genre: Politikwissenschaft & Soziologie
Rubrik: Wissenschaften
Medium: Taschenbuch
Seiten: 124
Titelzusatz: Dokumentation des Statuskolloquiums der Akademie für Natur- und Umweltschutz Baden-Württemberg zum Auftakt der Initiative Integrative Taxonomie des Landes Baden-Württemberg
Reihe: Beiträge der Akademie für Natur-und Umweltschutz B.-W
Inhalt: 124 S.
ISBN-13: 9783777633176
ISBN-10: 3777633178
Sprache: Deutsch
Herstellernummer: 300003317
Einband: Kartoniert / Broschiert
Redaktion: Eick, Michael
Baumgärtner, Daniel
Akademie für Natur- und Umweltschutz
Herausgeber: Michael Eick/Daniel Baumgärtner/Akademie für Natur- und Umweltschutz
Hersteller: Hirzel S. Verlag
S. Hirzel Verlag GmbH
Maße: 226 x 155 x 17 mm
Von/Mit: Michael Eick (u. a.)
Erscheinungsdatum: 23.01.2023
Gewicht: 0,21 kg
preigu-id: 126481740
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