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Bei einem Sparziergang durch die Hauptstadt Ghanas begegnete mir vor mehreren Jahren ein Taxi, das vor einem modernen Internetcafé geparkt war und auf dem ein Schild befestig war mit der Aufschrift: »Respect the poor!«. Entgegen dem gewöhnlichen Alltagsverständnis forderte der Besitzer dieses Wagens nicht, Armen zu helfen oder Armut zu bekämpfen. Er forderte etwas bei Weitem Schwierigeres und Provokanteres: den Armen Respekt entgegenzubringen. Die Aufschrift auf dem Schild in Accra begleitete mich in den nächsten Monaten und Jahren in meiner Forschung. Ich fing an, darüber nachzudenken, wie dieses Verlangen interpretiert werden sollte: Einerseits könnte man annehmen, der Verfasser weise daraufhin, dass als Arme stigmatisierte Akteure häufig zusätzliche Demütigungen erfahren, welche über eine zunächst materielle Enteignung hinausreichen. Andererseits könnte man diese Selbstaffirmation positiv wenden und davon ausgehen, dass hier Armut als eine Form des einfachen Lebensstils bewusst vom konsumorientierten Kapitalismusmodell unterschieden wird. Schließlich lenkt der Autor der Aufschrift unser Augenmerk auf die Bewohner Accras selber, die sich trotz ihrer Armut behaupten und trotz ihrer Marginalisierung ins Armenviertel sich ihrer selbstbewussten Stimme nicht berauben lassen.
Eine weitere Intuition begleitete diese Forschung, die ich im Rahmen der Lektüre von Schriften über globale Gerechtigkeit, die sich mit Fragen von Armut und Entwicklung befassten, stets aufs Neue mit Unbehagen hegte: Die wiederkehrende Beobachtung, dass »Entwicklungspolitik«, Armut und Gerechtigkeit zwar häufig als komplementäre Begriffsfelder zueinander gedacht werden, praktisch wie auch normativ jedoch nicht unbedingt zueinander gehören und häufig einander sogar widersprechen. So kann das einseitige Sprechen über »unterentwickelte« Länder selber eine Form rhetorischer Gewalt manifestieren, welche einen respektvollen Dialog über Gerechtigkeit verhindert und Ungerechtigkeit und Abhängigkeiten im Gegenzug reproduziert: Die Semantik der Entwicklungshilfe kann Fragen der Gerechtigkeit zugunsten einer Rhetorik der Barmherzigkeit in den Hintergrund drängen und sich dadurch der zentralen Fragen von Ausbeutung und Unterdrückung entledigen. Auch gilt es zu fragen, ob Entwicklung überhaupt als eine Frage der Gerechtigkeit verhandelt werden sollte und wenn ja, wie dies sinnvoll getan werden könnte. Schließlich behauptet der Entwicklungstheoretiker Wolfgang Sachs in seiner Einleitung zum Development Dictionary (2010) im Rückblick auf die vergangenen Entwicklungsdekaden: »In the development age, the rich world was able to sidestep the hard issues of justice, because economic growth was seen as the main tool to bring greater equity. [...] however, this approach has definitely turned out to be one-sided; it is not just the poor but also the rich, and their economy as well, that have to be called into question.« (Sachs 2010: xiii-xiv)
Sachs beobachtet, dass die Sprache der Gerechtigkeit zwischen Menschen zunehmend durch ein ökonomistisches Entwicklungsdenken verdrängt worden sei und dass dieser Prozess zu einem verkehrten Blick auf die Beziehung zwischen den Begriffen »Entwicklung« und »Gerechtigkeit« geführt habe. Zwar werde Entwicklung als Desiderat für ärmere Länder angenommen, jedoch bemäntele diese Sichtweise die Schattenseiten eines kapitalistischen Entwicklungsdenkens: die soziale Ungleichheit, die mit Modernisierungsprozessen einhergeht, die Entrechtung von indigenen Völkern und die Beseitigung ihrer Lebensgrundlagen, der Verlust an Biodiversität, der zerstörerische Konsumzwang einer wachsenden globalen Mittelklasse und letztlich die damit einhergehende Norm dessen, was gesellschaftlicher Reichtum bedeutet. Der »Kannibalismus« ökonomischer Entwicklung gehe stets zu Ungunsten der Schwächsten, in deren Namen er zugleich agiert, argumentiert Sachs (ebd.: x). Schließlich ist die systemische Kehrseite der Idee von modernisierender Entwicklung die Ausb
Bei einem Sparziergang durch die Hauptstadt Ghanas begegnete mir vor mehreren Jahren ein Taxi, das vor einem modernen Internetcafé geparkt war und auf dem ein Schild befestig war mit der Aufschrift: »Respect the poor!«. Entgegen dem gewöhnlichen Alltagsverständnis forderte der Besitzer dieses Wagens nicht, Armen zu helfen oder Armut zu bekämpfen. Er forderte etwas bei Weitem Schwierigeres und Provokanteres: den Armen Respekt entgegenzubringen. Die Aufschrift auf dem Schild in Accra begleitete mich in den nächsten Monaten und Jahren in meiner Forschung. Ich fing an, darüber nachzudenken, wie dieses Verlangen interpretiert werden sollte: Einerseits könnte man annehmen, der Verfasser weise daraufhin, dass als Arme stigmatisierte Akteure häufig zusätzliche Demütigungen erfahren, welche über eine zunächst materielle Enteignung hinausreichen. Andererseits könnte man diese Selbstaffirmation positiv wenden und davon ausgehen, dass hier Armut als eine Form des einfachen Lebensstils bewusst vom konsumorientierten Kapitalismusmodell unterschieden wird. Schließlich lenkt der Autor der Aufschrift unser Augenmerk auf die Bewohner Accras selber, die sich trotz ihrer Armut behaupten und trotz ihrer Marginalisierung ins Armenviertel sich ihrer selbstbewussten Stimme nicht berauben lassen.
Eine weitere Intuition begleitete diese Forschung, die ich im Rahmen der Lektüre von Schriften über globale Gerechtigkeit, die sich mit Fragen von Armut und Entwicklung befassten, stets aufs Neue mit Unbehagen hegte: Die wiederkehrende Beobachtung, dass »Entwicklungspolitik«, Armut und Gerechtigkeit zwar häufig als komplementäre Begriffsfelder zueinander gedacht werden, praktisch wie auch normativ jedoch nicht unbedingt zueinander gehören und häufig einander sogar widersprechen. So kann das einseitige Sprechen über »unterentwickelte« Länder selber eine Form rhetorischer Gewalt manifestieren, welche einen respektvollen Dialog über Gerechtigkeit verhindert und Ungerechtigkeit und Abhängigkeiten im Gegenzug reproduziert: Die Semantik der Entwicklungshilfe kann Fragen der Gerechtigkeit zugunsten einer Rhetorik der Barmherzigkeit in den Hintergrund drängen und sich dadurch der zentralen Fragen von Ausbeutung und Unterdrückung entledigen. Auch gilt es zu fragen, ob Entwicklung überhaupt als eine Frage der Gerechtigkeit verhandelt werden sollte und wenn ja, wie dies sinnvoll getan werden könnte. Schließlich behauptet der Entwicklungstheoretiker Wolfgang Sachs in seiner Einleitung zum Development Dictionary (2010) im Rückblick auf die vergangenen Entwicklungsdekaden: »In the development age, the rich world was able to sidestep the hard issues of justice, because economic growth was seen as the main tool to bring greater equity. [...] however, this approach has definitely turned out to be one-sided; it is not just the poor but also the rich, and their economy as well, that have to be called into question.« (Sachs 2010: xiii-xiv)
Sachs beobachtet, dass die Sprache der Gerechtigkeit zwischen Menschen zunehmend durch ein ökonomistisches Entwicklungsdenken verdrängt worden sei und dass dieser Prozess zu einem verkehrten Blick auf die Beziehung zwischen den Begriffen »Entwicklung« und »Gerechtigkeit« geführt habe. Zwar werde Entwicklung als Desiderat für ärmere Länder angenommen, jedoch bemäntele diese Sichtweise die Schattenseiten eines kapitalistischen Entwicklungsdenkens: die soziale Ungleichheit, die mit Modernisierungsprozessen einhergeht, die Entrechtung von indigenen Völkern und die Beseitigung ihrer Lebensgrundlagen, der Verlust an Biodiversität, der zerstörerische Konsumzwang einer wachsenden globalen Mittelklasse und letztlich die damit einhergehende Norm dessen, was gesellschaftlicher Reichtum bedeutet. Der »Kannibalismus« ökonomischer Entwicklung gehe stets zu Ungunsten der Schwächsten, in deren Namen er zugleich agiert, argumentiert Sachs (ebd.: x). Schließlich ist die systemische Kehrseite der Idee von modernisierender Entwicklung die Ausb
Erscheinungsjahr: | 2014 |
---|---|
Medium: | Taschenbuch |
Inhalt: | 330 S. |
ISBN-13: | 9783593500997 |
ISBN-10: | 359350099X |
Sprache: | Deutsch |
Einband: | Paperback |
Autor: | Dübgen, Franziska |
Auflage: | 1/2014 |
campus verlag: | Campus Verlag |
Maße: | 214 x 142 x 20 mm |
Von/Mit: | Franziska Dübgen |
Erscheinungsdatum: | 13.02.2014 |
Gewicht: | 0,42 kg |
Erscheinungsjahr: | 2014 |
---|---|
Medium: | Taschenbuch |
Inhalt: | 330 S. |
ISBN-13: | 9783593500997 |
ISBN-10: | 359350099X |
Sprache: | Deutsch |
Einband: | Paperback |
Autor: | Dübgen, Franziska |
Auflage: | 1/2014 |
campus verlag: | Campus Verlag |
Maße: | 214 x 142 x 20 mm |
Von/Mit: | Franziska Dübgen |
Erscheinungsdatum: | 13.02.2014 |
Gewicht: | 0,42 kg |