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Der verkannte Bürger
Eine andere Geschichte der europäischen Integration seit 1950
Taschenbuch von Hartmut Kaelble
Sprache: Deutsch

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Beschreibung
1.Einleitung
Noch am 50. Jahrestag der Römischen Verträge 2007 galt die Europäische Union als ein internationales Erfolgsmodell, in das nicht nur Politiker außerhalb Europas, sondern auch die eigenen Bürger der Europäischen Union (EU) viel Vertrauen setzten. Dieses Modell bekam in den vergangenen Jahren, in der Eurokrise und danach in der Flüchtlingskrise, starke Risse. Die Folgen dieser Krisen sind weiterhin spürbar. Es bleibt ein Teil der öffentlichen Erinnerung, dass die Europäische Union an Vertrauen ihrer Bürger verlor und in vielen Mitgliedsländern zeitweise sogar die Gegner der Union überwogen. Der Brexit verstärkt diese dunkle Erinnerung, auch wenn die Abstimmung über ihn sehr knapp ausging. Inzwischen ist das Vertrauen der Bürger in die Union zurückgekehrt, aber die EU hat sich weiterhin mit europafeindlichen Parteien im Europäischen Parlament, in vielen nationalen Parlamenten und in einigen nationalen Regierungen herumzuschlagen. Sie gab es vor der Krise weit weniger. Unter Experten und Intellektuellen stößt die Europäische Union weiterhin auf mehr Skepsis als vor den Krisen, auch wenn die unionsfreundlichen Veröffentlichungen in allerjüngster Zeit deutlich zunehmen. Umgekehrt bestehen unter den Europapolitikern häufig Irritationen und auch Misstrauen gegenüber den Bürgern. Aus ihrer Sicht sind die Bürger entweder schwer für die Union zu mobilisieren, wie etwa bei den Europawahlen, oder zu wenig widerstandsfähig gegen antieuropäische Angstkampagnen wie beim französischen und niederländischen Nein 2005 und beim Brexit 2016. Die Beziehung zwischen Bürgern und Europäischer Union, die früher eher als uninteressanter Seitenast der Geschichte der europäischen Integration angesehen wurde, ist inzwischen ein schwelendes Krisenthema geworden.
Vier Erklärungen für diese Entfremdung zwischen Bürgern und Europäischer Union findet man in den öffentlichen Debatten. Eine erste Erklärung: Die großen Versprechen, mit denen die europäische Integration in den frühen 1950er Jahren startete, vor allem die Versprechen von europäischem Frieden und Wohlstand, überzeugen immer weniger Bürger, da der Zweite Weltkrieg und der große Wirtschaftsboom in immer weitere historische Ferne rücken. Ein neues attraktives Narrativ, ein neues Versprechen der Europäischen Union müsste gefunden werden, damit die Bürger sich nicht enttäuscht von der Union abwenden. Eine zweite Erklärung: Über die Köpfe der Bürger hinweg verschaffte sich die Europäische Union seit den 1990er Jahren in den Verträgen von Maastricht, Amsterdam, Nizza und Lissabon eine Vielzahl neuer Kompetenzen. Sie versäumte es, die Bürger 'mitzunehmen' und sie vom Sinn dieser neuen Macht der Union zu überzeugen. Daher zerbrach der »permissive Konsens« zwischen den Bürgern und der Europapolitik, der vier Jahrzehnte gehalten hatte, und wurde ersetzt durch heftige öffentliche politische Diskussionen über die Europapolitik, verschärft noch durch die zahlreichen Europareferenden. Eine dritte, benachbarte Erklärung: Die Europäische Union lässt die Bürger zu wenig zu Wort kommen. Sie leidet unter einem Demokratiedefizit. Sie hält vor allem das Europäische Parlament und deren Kompetenzen zu klein. Die Bürger wenden sich ab, weil sie in der immer mächtigeren Europäischen Union und gegenüber der angeblich mächtigen europäischen Bürokratie zu wenig zu sagen haben und die Union die Bodenhaftung bei den Bürgern verliert. Nach einer vierten Erklärung schließlich hat die Europäische Union immer mehr mit der Rückkehr des Nationalismus zu kämpfen. Dieser Nationalismus ist ein neuer globaler Trend auch in großen außereuropäischen Nationen der Welt, in China und in den USA, in Russland und in der Türkei, die die internationale Integration immer häufiger ablehnen und daher die Europäische Union nicht mehr unterstützen, sondern bekämpfen. Anders als noch in den 2000er Jahren sieht sich die Europäische Union von Gegnern umgeben. Dieser neue Nationalismus erfasste auch schon einzelne Regierungen der Mitgliedsländer
1.Einleitung
Noch am 50. Jahrestag der Römischen Verträge 2007 galt die Europäische Union als ein internationales Erfolgsmodell, in das nicht nur Politiker außerhalb Europas, sondern auch die eigenen Bürger der Europäischen Union (EU) viel Vertrauen setzten. Dieses Modell bekam in den vergangenen Jahren, in der Eurokrise und danach in der Flüchtlingskrise, starke Risse. Die Folgen dieser Krisen sind weiterhin spürbar. Es bleibt ein Teil der öffentlichen Erinnerung, dass die Europäische Union an Vertrauen ihrer Bürger verlor und in vielen Mitgliedsländern zeitweise sogar die Gegner der Union überwogen. Der Brexit verstärkt diese dunkle Erinnerung, auch wenn die Abstimmung über ihn sehr knapp ausging. Inzwischen ist das Vertrauen der Bürger in die Union zurückgekehrt, aber die EU hat sich weiterhin mit europafeindlichen Parteien im Europäischen Parlament, in vielen nationalen Parlamenten und in einigen nationalen Regierungen herumzuschlagen. Sie gab es vor der Krise weit weniger. Unter Experten und Intellektuellen stößt die Europäische Union weiterhin auf mehr Skepsis als vor den Krisen, auch wenn die unionsfreundlichen Veröffentlichungen in allerjüngster Zeit deutlich zunehmen. Umgekehrt bestehen unter den Europapolitikern häufig Irritationen und auch Misstrauen gegenüber den Bürgern. Aus ihrer Sicht sind die Bürger entweder schwer für die Union zu mobilisieren, wie etwa bei den Europawahlen, oder zu wenig widerstandsfähig gegen antieuropäische Angstkampagnen wie beim französischen und niederländischen Nein 2005 und beim Brexit 2016. Die Beziehung zwischen Bürgern und Europäischer Union, die früher eher als uninteressanter Seitenast der Geschichte der europäischen Integration angesehen wurde, ist inzwischen ein schwelendes Krisenthema geworden.
Vier Erklärungen für diese Entfremdung zwischen Bürgern und Europäischer Union findet man in den öffentlichen Debatten. Eine erste Erklärung: Die großen Versprechen, mit denen die europäische Integration in den frühen 1950er Jahren startete, vor allem die Versprechen von europäischem Frieden und Wohlstand, überzeugen immer weniger Bürger, da der Zweite Weltkrieg und der große Wirtschaftsboom in immer weitere historische Ferne rücken. Ein neues attraktives Narrativ, ein neues Versprechen der Europäischen Union müsste gefunden werden, damit die Bürger sich nicht enttäuscht von der Union abwenden. Eine zweite Erklärung: Über die Köpfe der Bürger hinweg verschaffte sich die Europäische Union seit den 1990er Jahren in den Verträgen von Maastricht, Amsterdam, Nizza und Lissabon eine Vielzahl neuer Kompetenzen. Sie versäumte es, die Bürger 'mitzunehmen' und sie vom Sinn dieser neuen Macht der Union zu überzeugen. Daher zerbrach der »permissive Konsens« zwischen den Bürgern und der Europapolitik, der vier Jahrzehnte gehalten hatte, und wurde ersetzt durch heftige öffentliche politische Diskussionen über die Europapolitik, verschärft noch durch die zahlreichen Europareferenden. Eine dritte, benachbarte Erklärung: Die Europäische Union lässt die Bürger zu wenig zu Wort kommen. Sie leidet unter einem Demokratiedefizit. Sie hält vor allem das Europäische Parlament und deren Kompetenzen zu klein. Die Bürger wenden sich ab, weil sie in der immer mächtigeren Europäischen Union und gegenüber der angeblich mächtigen europäischen Bürokratie zu wenig zu sagen haben und die Union die Bodenhaftung bei den Bürgern verliert. Nach einer vierten Erklärung schließlich hat die Europäische Union immer mehr mit der Rückkehr des Nationalismus zu kämpfen. Dieser Nationalismus ist ein neuer globaler Trend auch in großen außereuropäischen Nationen der Welt, in China und in den USA, in Russland und in der Türkei, die die internationale Integration immer häufiger ablehnen und daher die Europäische Union nicht mehr unterstützen, sondern bekämpfen. Anders als noch in den 2000er Jahren sieht sich die Europäische Union von Gegnern umgeben. Dieser neue Nationalismus erfasste auch schon einzelne Regierungen der Mitgliedsländer
Details
Erscheinungsjahr: 2019
Genre: Geisteswissenschaften, Kunst, Musik
Medium: Taschenbuch
Inhalt: 168 S.
ISBN-13: 9783593510347
ISBN-10: 3593510340
Sprache: Deutsch
Einband: Kartoniert / Broschiert
Autor: Kaelble, Hartmut
Auflage: 1/2019
campus verlag: Campus Verlag
Verantwortliche Person für die EU: Campus Verlag GmbH, Werderstr. 10, D-69469 Weinheim, info@campus.de
Maße: 214 x 141 x 11 mm
Von/Mit: Hartmut Kaelble
Erscheinungsdatum: 13.02.2019
Gewicht: 0,222 kg
Artikel-ID: 114894597
Details
Erscheinungsjahr: 2019
Genre: Geisteswissenschaften, Kunst, Musik
Medium: Taschenbuch
Inhalt: 168 S.
ISBN-13: 9783593510347
ISBN-10: 3593510340
Sprache: Deutsch
Einband: Kartoniert / Broschiert
Autor: Kaelble, Hartmut
Auflage: 1/2019
campus verlag: Campus Verlag
Verantwortliche Person für die EU: Campus Verlag GmbH, Werderstr. 10, D-69469 Weinheim, info@campus.de
Maße: 214 x 141 x 11 mm
Von/Mit: Hartmut Kaelble
Erscheinungsdatum: 13.02.2019
Gewicht: 0,222 kg
Artikel-ID: 114894597
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