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Der überforderte Mensch
Eine Wissensgeschichte vom Stress zum Burnout, Campus Historische Studien 66
Taschenbuch von Patrick Kury
Sprache: Deutsch

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Beschreibung
Will man eine Geschichte des Stresses schreiben, stellt sich unweigerlich die Frage, wann eine solche beginnt. Ist Stress ausschließlich ein Phänomen, das Gesellschaften nach 1945 kennzeichnet, oder gab es bereits früher Erscheinungen, die rückblickend als Stress oder zumindest als dessen Vorläufer bezeichnet werden können? Diese Frage lässt sich je nach Perspektive unterschiedlich beantworten.

Aus der Perspektive der individuellen Wahrnehmung historischer Akteure ist unbestritten, dass auch Menschen früherer Epochen Belastungen und Arbeitsdruck empfanden und darin womöglich die Ursache für physische sowie psychische Beeinträchtigungen erkannten. Wie einleitend erwähnt, hat der bekannte schwedische Stressforscher Lennart Levi bereits 1964 darauf hingewiesen, dass die durch Epidemien, Krieg und Krisen hervorgerufenen Herausforderungen in den vergangenen Jahrhunderten um einiges höher gewesen sind als in der Zeit nach 1945. Mit dieser Feststellung ist allerdings noch nicht geklärt, ob Menschen früherer Epochen physio-psychische Belastungen auch in einer ähnlichen Weise empfunden haben, wie dies die Menschen der Gegenwart tun. Eine solche universalistische Sichtweise, dass Stress quasi eine anthropologische Konstante darstelle, wird zumeist implizit in der Ratgeberliteratur zum Stress- und Zeitmanagement eingenommen. Dabei geht es weniger darum, historische Sachverhalte verständlich zu machen; vielmehr sollen dem Individuum Werkzeuge an die Hand gegeben werden, die es befähigen, mit Arbeitsdruck umzugehen sowie die individuellen zeitlichen Ressourcen zu optimieren. Die Historizität aktueller Belastungsphänomene wird dabei kaum thematisiert.

Ohne historische Tiefenschärfe kommen meist auch enge naturwissenschaftliche Perspektiven aus - nämlich dann, wenn Stress in Anlehnung an Hans Selye ausschließlich als eine physiologisch-hormonelle Reaktion beziehungsweise als eine Anpassungsleistung definiert wird, die bei jeder psychischen und physischen Herausforderung des Organismus von selbst in Gang kommt. So betrachtet mag es Stress zu allen Zeiten, in allen Gesellschaften sowohl bei Mensch und Tier als auch teilweise bei Pflanzen gegeben haben. Zur Beantwortung der Frage, warum Stress seit den 1950er Jahren zu einem wissenschaftlichen Konzept sowie zu einem hegemonialen Belastungsdiskurs westlicher Gesellschaften geworden ist, tragen solche Denkansätze wenig bei. Sie ignorieren vielmehr, dass erst die Konzeptualisierung von und das Reden über Stress diesen zu einem wahrnehmbaren und handlungsleitenden Körper-, Gesellschafts- und Kulturphänomen werden ließen, was wiederum auf den naturwissenschaftlichen Umgang mit Stress zurückgewirkt hat.

Da ich mich sowohl für die wissenschaftliche Thematisierung von Stress als auch für seine kulturelle Deutungen interessiere, werde ich mich auf historische Konstellationen konzentrieren, die einen Blick auf das Verwobensein der unterschiedlichen Bereiche gewähren.

Aufgrund des Zusammenwirkens moderner Lebensführung, neuer medizinischer Krankheitskonzepte und der Thematisierung von Gesundheit wird die Neurasthenie in der medizinhistorischen Literatur gemeinhin als erste sogenannte Zivilisationskrankheit bezeichnet. Daher halte ich es für angebracht, die Geschichte des Stresses mit dem Nervositätsdiskurs der vorletzten Jahrhundertwende zu beginnen. Auch der Bielefelder Historiker Joachim Radkau hat in der Einleitung seines Buches Das Zeitalter der Nervosität 1998 die Frage gestellt: "Die in den 1880er Jahren ausbrechende Nervositätsepidemie ist der sichtbarste Beginn moderner Streßerfahrungen: Damals wurden sie erstmals zum historischen Ereignis. War es der moderne Streß schlechthin, der zu jener Zeit massenhaft ausbrach?" Ich verstehe im Folgenden Neurasthenie jedoch nicht als Stress, sondern als Stressphänomen avant la lettre, das gewisse strukturelle Ähnlichkeit zu Zivilisationserscheinungen wie der Managerkrankheit und der heute ominipräsenten Stressfolgeerkrankung Burnout aufweist.

Will man eine Geschichte des Stresses schreiben, stellt sich unweigerlich die Frage, wann eine solche beginnt. Ist Stress ausschließlich ein Phänomen, das Gesellschaften nach 1945 kennzeichnet, oder gab es bereits früher Erscheinungen, die rückblickend als Stress oder zumindest als dessen Vorläufer bezeichnet werden können? Diese Frage lässt sich je nach Perspektive unterschiedlich beantworten.

Aus der Perspektive der individuellen Wahrnehmung historischer Akteure ist unbestritten, dass auch Menschen früherer Epochen Belastungen und Arbeitsdruck empfanden und darin womöglich die Ursache für physische sowie psychische Beeinträchtigungen erkannten. Wie einleitend erwähnt, hat der bekannte schwedische Stressforscher Lennart Levi bereits 1964 darauf hingewiesen, dass die durch Epidemien, Krieg und Krisen hervorgerufenen Herausforderungen in den vergangenen Jahrhunderten um einiges höher gewesen sind als in der Zeit nach 1945. Mit dieser Feststellung ist allerdings noch nicht geklärt, ob Menschen früherer Epochen physio-psychische Belastungen auch in einer ähnlichen Weise empfunden haben, wie dies die Menschen der Gegenwart tun. Eine solche universalistische Sichtweise, dass Stress quasi eine anthropologische Konstante darstelle, wird zumeist implizit in der Ratgeberliteratur zum Stress- und Zeitmanagement eingenommen. Dabei geht es weniger darum, historische Sachverhalte verständlich zu machen; vielmehr sollen dem Individuum Werkzeuge an die Hand gegeben werden, die es befähigen, mit Arbeitsdruck umzugehen sowie die individuellen zeitlichen Ressourcen zu optimieren. Die Historizität aktueller Belastungsphänomene wird dabei kaum thematisiert.

Ohne historische Tiefenschärfe kommen meist auch enge naturwissenschaftliche Perspektiven aus - nämlich dann, wenn Stress in Anlehnung an Hans Selye ausschließlich als eine physiologisch-hormonelle Reaktion beziehungsweise als eine Anpassungsleistung definiert wird, die bei jeder psychischen und physischen Herausforderung des Organismus von selbst in Gang kommt. So betrachtet mag es Stress zu allen Zeiten, in allen Gesellschaften sowohl bei Mensch und Tier als auch teilweise bei Pflanzen gegeben haben. Zur Beantwortung der Frage, warum Stress seit den 1950er Jahren zu einem wissenschaftlichen Konzept sowie zu einem hegemonialen Belastungsdiskurs westlicher Gesellschaften geworden ist, tragen solche Denkansätze wenig bei. Sie ignorieren vielmehr, dass erst die Konzeptualisierung von und das Reden über Stress diesen zu einem wahrnehmbaren und handlungsleitenden Körper-, Gesellschafts- und Kulturphänomen werden ließen, was wiederum auf den naturwissenschaftlichen Umgang mit Stress zurückgewirkt hat.

Da ich mich sowohl für die wissenschaftliche Thematisierung von Stress als auch für seine kulturelle Deutungen interessiere, werde ich mich auf historische Konstellationen konzentrieren, die einen Blick auf das Verwobensein der unterschiedlichen Bereiche gewähren.

Aufgrund des Zusammenwirkens moderner Lebensführung, neuer medizinischer Krankheitskonzepte und der Thematisierung von Gesundheit wird die Neurasthenie in der medizinhistorischen Literatur gemeinhin als erste sogenannte Zivilisationskrankheit bezeichnet. Daher halte ich es für angebracht, die Geschichte des Stresses mit dem Nervositätsdiskurs der vorletzten Jahrhundertwende zu beginnen. Auch der Bielefelder Historiker Joachim Radkau hat in der Einleitung seines Buches Das Zeitalter der Nervosität 1998 die Frage gestellt: "Die in den 1880er Jahren ausbrechende Nervositätsepidemie ist der sichtbarste Beginn moderner Streßerfahrungen: Damals wurden sie erstmals zum historischen Ereignis. War es der moderne Streß schlechthin, der zu jener Zeit massenhaft ausbrach?" Ich verstehe im Folgenden Neurasthenie jedoch nicht als Stress, sondern als Stressphänomen avant la lettre, das gewisse strukturelle Ähnlichkeit zu Zivilisationserscheinungen wie der Managerkrankheit und der heute ominipräsenten Stressfolgeerkrankung Burnout aufweist.

Details
Erscheinungsjahr: 2012
Medium: Taschenbuch
Seiten: 342
Inhalt: 342 S.
ISBN-13: 9783593397399
ISBN-10: 3593397390
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Autor: Kury, Patrick
Auflage: 1/2012
campus verlag: Campus Verlag
Maße: 214 x 140 x 21 mm
Von/Mit: Patrick Kury
Erscheinungsdatum: 10.09.2012
Gewicht: 0,43 kg
preigu-id: 106475888
Details
Erscheinungsjahr: 2012
Medium: Taschenbuch
Seiten: 342
Inhalt: 342 S.
ISBN-13: 9783593397399
ISBN-10: 3593397390
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Autor: Kury, Patrick
Auflage: 1/2012
campus verlag: Campus Verlag
Maße: 214 x 140 x 21 mm
Von/Mit: Patrick Kury
Erscheinungsdatum: 10.09.2012
Gewicht: 0,43 kg
preigu-id: 106475888
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