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Von Netzwerken zu Märkten
Die Entstehung eines globalen Getreidemarktes, Studien zur Weltgesellschaft/World Society Studies 5
Taschenbuch von Martin Bühler
Sprache: Deutsch

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Beschreibung
1. EinleitungIm noch jungen 20. Jahrhundert blickten John Hubback und George Broomhall, zwei prominente Getreidehändler aus Liverpool, auf ihre langen Händlerkarrieren zurück und konstatierten, dass sich die Getreidemärkte in einem Zeitraum von wenigen Jahrzehnten entscheidend verändert hätten: »Within the period of one lifetime the grain trade of Britain has undergone such vital changes that our predecessors would be quite at a loss if it were possible for them to revisit Brunswick Street« (Broomhall/Hubback 1930: i). Ihre unmittelbaren Vorgänger, so führten sie weiter aus, könnten höchstens noch als Zuschauer und in oberflächlicher Weise die neuen Entwicklungen registrieren, eine Teilnahme am Markt sei jedoch ausgeschlossen. Denn die modernen Bedingungen des Handels würden nicht mehr zu jenen passen, die in ihrer Zeit erfolgreich gewesen seien. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts habe der Markt noch auf einem Platz vor dem Stadthaus stattgefunden, und das Getreide sei offen ausliegend angeboten worden. Broomhall und Hubback betonen darüber hinaus, dass damals noch keine der unzähligen Handelsnachrichten, Statistiken oder Ernteberichte angeschlagen wurden, die in ihrer Gegenwart die Wände des 'News Rooms' zu füllen und die Aufmerksamkeit der Händler auf sich zu ziehen begannen (ebd.: 1-15).Diese Veränderungen wurden jedoch nicht nur in England bemerkt, sondern zur selben Zeit auch an anderen Orten registriert. Ein amerikanischer Staatssekretär hielt 1903 erstaunt fest, dass auf dem Marktplatz von Nikolaev im Russischen Reich sogar einfache Getreidebauern den telegraphisch übermittelten Preis aus Amerika zur Basis ihrer Angebote nehmen würden - etwas, das vor wenigen Jahren noch kaum denkbar gewesen sei (siehe Goodwin/Grennes 1998: 408). Otto Jöhlinger (1910: 317), ein ehemaliger Getreidehändler, beobachtete Ähnliches bei den Händlern in Berlin. Diese würden den Preis aus Chicago sogar dann zur Grundlage nehmen, auch wenn sie kaum Getreide aus den Vereinigten Staaten importierten. Der Müllerfachmann Emerich Pekár (1882: 260) beobachtete die Transformation der Getreidemärkte von Budapest aus. Auch er betonte die enorme Geschwindigkeit, mit der aktuelle Preise aus Übersee eintrafen, doch sei ebenso die telegraphische Übermittlung der Getreidegattung für die neuen Verhältnisse mitentscheidend. Denn nun könne, so Max Roscher, ein weiterer Beobachter der neuen Verhältnisse, »die persönliche Anwesenheit beim Abschluss von Tauschgeschäften allgemeiner und unbedenklicher als bisher fortfallen« (Roscher 1911: 157f.).Kurt Wiedenfeld, ein weiterer Zeitgenosse dieser Umbrüche, brachte die Beobachtungen auf den Punkt: Im Verlauf des 19. Jahrhunderts hätte sich auf globalem Niveau eine Situation eingestellt, wie sie ehemals auf dem lokalen Marktplatz herrschte: »Infolgedessen steht - ähnlich wie auf dem städtischen Wochenmarkt stets die eine Ecke weiß, unter welchen Bedingungen in der gegenüberliegenden Ecke gehandelt wird - der moderne Getreidehandel an jeder einzelnen Stelle unter dem Einfluss von Faktoren, die an ganz anderer Stelle entsprungen sind [...]. Der Welthandel«, so fasste der Nationalökonom Wiedenfeld diese Transformation zusammen, »hat sich zum Weltmarkt verdichtet« (Wiedenfeld 1929: 310).Fragestellung und analytische PerspektivenDiese historischen Szenen und die zunächst tautologisch anmutende These von Kurt Wiedenfeld nehme ich zum Ausgangspunkt dieser soziologischen Studie. Ich stelle die Frage ins Zentrum, welche Veränderungen dazu geführt haben, dass ein globaler Markt entstehen konnte. Diesen makrosoziologischen Transformationsprozess nehme ich aus einer mikrohistorischen Perspektive in den Blick und analysiere ihn anhand einer Fallstudie zu Getreidemärkten im Zeitraum des späten 18. bis zum frühen 20. Jahrhundert. Dabei soll der Schwerpunkt darauf liegen, wie die Veränderung von Evaluationspraktiken und die Einschätzung von medial vermittelter Marktinformation im Laufe des 19. Jahrhunderts zu veränderten Erwartungen
1. EinleitungIm noch jungen 20. Jahrhundert blickten John Hubback und George Broomhall, zwei prominente Getreidehändler aus Liverpool, auf ihre langen Händlerkarrieren zurück und konstatierten, dass sich die Getreidemärkte in einem Zeitraum von wenigen Jahrzehnten entscheidend verändert hätten: »Within the period of one lifetime the grain trade of Britain has undergone such vital changes that our predecessors would be quite at a loss if it were possible for them to revisit Brunswick Street« (Broomhall/Hubback 1930: i). Ihre unmittelbaren Vorgänger, so führten sie weiter aus, könnten höchstens noch als Zuschauer und in oberflächlicher Weise die neuen Entwicklungen registrieren, eine Teilnahme am Markt sei jedoch ausgeschlossen. Denn die modernen Bedingungen des Handels würden nicht mehr zu jenen passen, die in ihrer Zeit erfolgreich gewesen seien. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts habe der Markt noch auf einem Platz vor dem Stadthaus stattgefunden, und das Getreide sei offen ausliegend angeboten worden. Broomhall und Hubback betonen darüber hinaus, dass damals noch keine der unzähligen Handelsnachrichten, Statistiken oder Ernteberichte angeschlagen wurden, die in ihrer Gegenwart die Wände des 'News Rooms' zu füllen und die Aufmerksamkeit der Händler auf sich zu ziehen begannen (ebd.: 1-15).Diese Veränderungen wurden jedoch nicht nur in England bemerkt, sondern zur selben Zeit auch an anderen Orten registriert. Ein amerikanischer Staatssekretär hielt 1903 erstaunt fest, dass auf dem Marktplatz von Nikolaev im Russischen Reich sogar einfache Getreidebauern den telegraphisch übermittelten Preis aus Amerika zur Basis ihrer Angebote nehmen würden - etwas, das vor wenigen Jahren noch kaum denkbar gewesen sei (siehe Goodwin/Grennes 1998: 408). Otto Jöhlinger (1910: 317), ein ehemaliger Getreidehändler, beobachtete Ähnliches bei den Händlern in Berlin. Diese würden den Preis aus Chicago sogar dann zur Grundlage nehmen, auch wenn sie kaum Getreide aus den Vereinigten Staaten importierten. Der Müllerfachmann Emerich Pekár (1882: 260) beobachtete die Transformation der Getreidemärkte von Budapest aus. Auch er betonte die enorme Geschwindigkeit, mit der aktuelle Preise aus Übersee eintrafen, doch sei ebenso die telegraphische Übermittlung der Getreidegattung für die neuen Verhältnisse mitentscheidend. Denn nun könne, so Max Roscher, ein weiterer Beobachter der neuen Verhältnisse, »die persönliche Anwesenheit beim Abschluss von Tauschgeschäften allgemeiner und unbedenklicher als bisher fortfallen« (Roscher 1911: 157f.).Kurt Wiedenfeld, ein weiterer Zeitgenosse dieser Umbrüche, brachte die Beobachtungen auf den Punkt: Im Verlauf des 19. Jahrhunderts hätte sich auf globalem Niveau eine Situation eingestellt, wie sie ehemals auf dem lokalen Marktplatz herrschte: »Infolgedessen steht - ähnlich wie auf dem städtischen Wochenmarkt stets die eine Ecke weiß, unter welchen Bedingungen in der gegenüberliegenden Ecke gehandelt wird - der moderne Getreidehandel an jeder einzelnen Stelle unter dem Einfluss von Faktoren, die an ganz anderer Stelle entsprungen sind [...]. Der Welthandel«, so fasste der Nationalökonom Wiedenfeld diese Transformation zusammen, »hat sich zum Weltmarkt verdichtet« (Wiedenfeld 1929: 310).Fragestellung und analytische PerspektivenDiese historischen Szenen und die zunächst tautologisch anmutende These von Kurt Wiedenfeld nehme ich zum Ausgangspunkt dieser soziologischen Studie. Ich stelle die Frage ins Zentrum, welche Veränderungen dazu geführt haben, dass ein globaler Markt entstehen konnte. Diesen makrosoziologischen Transformationsprozess nehme ich aus einer mikrohistorischen Perspektive in den Blick und analysiere ihn anhand einer Fallstudie zu Getreidemärkten im Zeitraum des späten 18. bis zum frühen 20. Jahrhundert. Dabei soll der Schwerpunkt darauf liegen, wie die Veränderung von Evaluationspraktiken und die Einschätzung von medial vermittelter Marktinformation im Laufe des 19. Jahrhunderts zu veränderten Erwartungen
Details
Erscheinungsjahr: 2019
Fachbereich: Allgemeines
Genre: Geschichte
Rubrik: Geisteswissenschaften
Thema: Lexika
Medium: Taschenbuch
Inhalt: 196 S.
ISBN-13: 9783593509372
ISBN-10: 3593509377
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Autor: Bühler, Martin
Auflage: 1/2019
campus verlag: Campus Verlag
Maße: 215 x 141 x 13 mm
Von/Mit: Martin Bühler
Erscheinungsdatum: 15.05.2019
Gewicht: 0,254 kg
Artikel-ID: 113667551
Details
Erscheinungsjahr: 2019
Fachbereich: Allgemeines
Genre: Geschichte
Rubrik: Geisteswissenschaften
Thema: Lexika
Medium: Taschenbuch
Inhalt: 196 S.
ISBN-13: 9783593509372
ISBN-10: 3593509377
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Autor: Bühler, Martin
Auflage: 1/2019
campus verlag: Campus Verlag
Maße: 215 x 141 x 13 mm
Von/Mit: Martin Bühler
Erscheinungsdatum: 15.05.2019
Gewicht: 0,254 kg
Artikel-ID: 113667551
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