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Von der Welt lernen
Erfolg durch Menschlichkeit und Freiheit
Taschenbuch von Reinhard Mohn
Sprache: Deutsch

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Beschreibung
Zu diesem Buch
Bis heute laufe ich jeden Tag eine Stunde in den Wald. Ich brauche diese Momente des Alleinseins. Die Ungestörtheit des Denkens schenkt mir Kraft und Gelassenheit und hat mir in vielen Situationen meines Lebens geholfen. Wo stehe ich gerade, was sind die nächsten Schritte? Sind meine Ziele realistisch, was kann ich besser machen? Solche Fragen haben mich über die Jahrzehnte hinweg begleitet - sie sind untrennbar mit meinem Lebensweg und dem Aufbau des Hauses Bertelsmann verbunden.
Im Jahre 1921 in Gütersloh geboren, hat mich das wechselvolle
20. Jahrhundert vor unzählige Aufgaben gestellt, von denen ich oft nicht wusste, wie ich sie bewältigen sollte. Nie hätte ich mir als junger Kriegsheimkehrer beim Anblick des zerstörten Verlagshauses im Januar 1946 träumen lassen, dass daraus ein Medienunternehmen erwachsen könnte, das am Beginn des
21. Jahrhunderts in über fünfzig Ländern vertreten ist und mehr als hunderttausend Mitarbeiter beschäftigt. Wie sehr haben sich die Existenzbedingungen in unserer Gesellschaft seit damals gewandelt! Weltweit haben die politischen und kulturellen Veränderungen in mehr als fünf Jahrzehnten einen Prozess der Globalisierung in Gang gesetzt, der unser tägliches Denken und Handeln in nie geahnter Weise herausfordert und auch die demokratische Entwicklung in Deutschland einer unablässigen Veränderung unterwirft.
Das Haus Bertelsmann hat in all den Jahren vielfältige Erfahrungen sammeln dürfen und seine unternehmerische Tätigkeit sowohl in Deutschland und Europa als auch in den USA, Russland, Indien und China unter unterschiedlichsten politischen Bedingungen entwickeln können. Diese Erfahrungen scheinen mir im Hinblick auf die Herausforderungen der Globalisierung aktueller denn je. Auf welche Weise ist uns mit Menschen unterschiedlichster Herkunft und Glaubensrichtungen ein Dialog gelungen? Welche unternehmerischen Entscheidungen waren notwendig, um einen internationalen Konzern mit mehr als hundert Tochtergesellschaften erfolgreich zu führen? Worin liegen die Gründe, dass es in Deutschland bei Bertelsmann zu meiner Zeit keinen Streik gegeben hat? Kurzum: Was ist das Geheimnis unseres Erfolgs, der mich, trotz mancher Rückschläge und unvermeidlicher Enttäuschungen, sagen lässt: Es hat sich gelohnt.
Und wenn ich mir heute, am Ende eines langen Weges, etwas wünschen dürfte, dann geht mein Blick in die Zukunft, und ich hoffe, dass die bei Bertelsmann erprobten Führungstechniken Bausteine für ein friedliches Miteinander der Kulturen bereithalten können.
Überall auf der Welt neigen die Menschen dazu, Gewohnheiten als endgültig zu betrachten und einmal bewährte Traditionen festzuschreiben. Die Angst vor dem Neuen, die Abwehr des Anderen und Fremden hat zu allen Zeiten die Bildung von
Vorurteilen und Dogmen befördert, die in der Schaffung von Nationalstaaten und der Ausbildung politischer Ordnungssysteme ihre historisch bedeutsamste Ausprägung erfahren haben. Doch schon die griechischen Philosophen wussten, dass die eigentliche Herausforderung des Lebens darin besteht, den Prozess des permanenten Wandels, des »panta rhei«1, anzunehmen.
Die geschichtliche Erfahrung, dass auch Macht und Gewalt auf Dauer die Ordnungen der Menschen nicht erhalten können, hat unverminderte Aktualität. Was also befähigt uns, die unaufhaltsamen Veränderungen im Bereich der Kultur und Politik, der Wirtschaft und der staatlichen Ordnungssysteme nicht nur zu erdulden, sondern als Chance zu begreifen, die Zukunft mit persönlicher Kraft und eigenständigem Handeln zu gestalten? Welche geistigen, gesellschaftspolitischen, wirtschaftlichen und sozialen Voraussetzungen sind nötig, damit das gelingt?
Ich bin diesen Fragen über Jahrzehnte nachgegangen und möchte nun versuchen, die für mich entscheidenden Beweggründe im Rückblick auf meine eigenen menschlichen und unternehmerischen Erfahrungen zu veranschaulichen.
Protestantische Traditionen und der Wunsch nach innerer Freiheit
Soweit ich zurückdenken kann, war ich von der Freiheit des eigenen Denkens fasziniert. Bis heute verblüfft mich, wie genau ich schon als sechzehnjähriger Schüler in einem Hausaufsatz2, in dem ich »Meine Gedanken bei der Wahl des Berufes« erörtern sollte, drei Aspekte hervorgehoben habe. Was mir damals für meine Zukunft bedeutsam erschien, hat für mich bis heute nichts von seiner Gültigkeit verloren: Verantwortung gegenüber der Gemeinschaft, persönliche Veranlagung und der Wunsch nach innerer Freiheit und einem mit Sinn erfüllten Leben.
Dabei mag meine Herkunft aus einem disziplinierten und streng religiös ausgerichteten Elternhaus eine wichtige Rolle gespielt haben. Sie hat meinem Charakter einen Ordnungsrahmen geboten, der schon früh Selbstdisziplin und Verantwortungsbewusstsein einforderte, in gleichem Maße jedoch auch meine Lust am Widerspruch beförderte und eine Suche nach persönlicher Veranlagung und innerer Motivation auslöste, die mir die christliche Erziehung allein nicht vermitteln konnte.
Wer wie ich mit vier älteren Geschwistern und einem jüngeren Bruder aufgewachsen ist, dem sind Freuden und Nöte der menschlichen Gemeinschaft von Kindesbeinen an vertraut. Die Rolle des besonders beachteten und geliebten Ältesten war im Hause meiner Eltern an meinen Bruder Hans Heinrich vergeben, die Rolle des Jüngsten blieb bis zur Geburt meines Bruders Gerd fünf Jahre unbesetzt, denn ein nach mir geborenes Mädchen war nicht lebensfähig. Der Klang der Kirchenglocken bei ihrer Beerdigung gehört zu meinen frühen Erinnerungen.
Ich galt als sensibles Kind, die Veranlagung meines Vaters zu Allergien hatte auch mich getroffen und machte mich recht anfällig für Erkältungskrankheiten. Krank sein aber hieß immer auch allein sein, der streng geführte Haushalt meiner Mutter Agnes ließ keine Sonderbehandlungen zu. So war ich spürbar das fünfte Kind in unserer großen Familie, das die Rituale unseres Familienlebens und die Aktivitäten seiner älteren Geschwister genau beobachtete, ohne sich dabei immer zugehörig zu fühlen. Wenn ich etwas nicht verstehen konnte, rebellierte ich innerlich und verweigerte mich mitunter. In einem auf christliche Erziehung und strenge Disziplin ausgerichteten Elternhaus musste das zu Konflikten führen.
Nicht selten empfing mein Vater, in seiner Funktion als Verleger des Hauses Bertelsmann, Autoren und Geschäftspartner beim Mittagstisch, um Verlagsangelegenheiten mit ihnen zu besprechen. Wir Kinder hatten dabei natürlich zu schweigen, was mir häufig schwerfiel und nicht immer einleuchtend erschien. So wurde ich des Öfteren von meiner Mutter zur Strafe in »die Ecke gestellt« und nach einiger Zeit gefragt, ob ich jetzt wieder brav sein wolle. Nein, das wolle ich durchaus nicht, erklärte ich zur Belustigung meiner Geschwister, und das ganze Spiel begann von vorn.
Meine Mutter Agnes war die Tochter des Gütersloher Pastors Seippel. Nach dem frühen Tod ihrer Mutter musste sie die Verantwortung für ihre jüngeren Geschwister übernehmen. Die daraus resultierende hohe Selbstdisziplin und ein unbedingter Wille zur Pflichterfüllung hat sie auch an uns Kinder weitergegeben. Mit liebevoller Strenge verantwortete sie unsere Erziehung in einem vielköpfigen Haushalt, zu dem Dienstboten und die Schulfreunde meiner älteren Geschwister als Pensionsgäste genauso gehörten wie die offiziellen Gäste meines Vaters. In meinen ersten Lebensjahren gehörten dazu auch mein Großvater Johannes Mohn und meine Großmutter Friederike, eine geborene Bertelsmann. Beide Familien wohnten nah beieinander und hielten engen Kontakt. Während meine Schwestern an der
Frauenoberschule ihre Abschlüsse machten, besuchten mein ältester Bruder Hans Heinrich und ich das Evangelisch-Stiftische Gymnasium in Gütersloh. Von einer gemeinsamen Schulzeit konnte man aber nicht wirklich sprechen. Als er sein Abitur mit »sehr gut« bestand, hatte ich gerade mit der Sexta begonnen.
Der große Altersunterschied zwischen uns Geschwistern führte auch noch zu anderen Erfahrungen. So reisten meine Eltern regelmäßig mit meinen vier älteren Geschwistern in den Ferien in die Schweiz oder in den Schwarzwald, während ich alljährlich in kirchliche Erholungsheime geschickt wurde. Ich habe das damals nicht verstanden. Von einem Tag auf den anderen blieb ich allein unter fremden Menschen zurück und sah mich, so jung wie ich war, völlig auf mich zurückgeworfen. Diese Erfahrung hat mich früh im Alleinsein geübt. Doch was mir als Kind schmerzlich naheging, forderte mich als Heranwachsenden heraus, mich mit mir auseinanderzusetzen: Warum widerfuhr mir das? War ich damit einverstanden? Was würde ich anders, was würde ich besser machen? Wer plötzlich ohne seine Familie und ein anteilnehmendes Gegenüber dasteht, lernt, mit sich selbst das Gespräch zu suchen. Und er erfährt, dass die eigenen Gedanken mitunter weiter tragen als das, was uns von außen vorgegeben wird. Das Alleinsein als Kind hat mich auch gelehrt, mit mir im Gespräch zu sein. Und ich bin es bis heute.
Die Tradition unseres 1835 gegründeten protestantischen Verlagshauses, das von meinen Eltern Heinrich und Agnes Mohn seit meinem Geburtsjahr 1921 in der vierten Generation geleitet wurde, war in unserer Familie stark spürbar. In den
Erzählungen der Großeltern wurden Anekdoten aus der Verlagsgeschichte lebendig. Immer wieder führten sie uns die historischen Anfänge der Verlagsgründung durch den protestantischen Steindrucker Carl Bertelsmann im Jahr 1835 vor Augen. Seine vielfältigen Erfahrungen als Kirchenvorstand und Stadtverordneter, dem in unternehmerischer wie in religiöser Hinsicht sein Sohn Heinrich nacheiferte, flossen wie selbstverständlich in die Familiengespräche ein. Auch mein Großvater Johannes Mohn hatte sich neben der Verlagsführung als Stadtverordneter, Presbyter, Kirchmeister und Kurator des von Carl Bertelsmann mitbegründeten Evangelisch-Stiftischen Gymnasiums in Gütersloh sowie als Vorsitzender verschiedener Missionsgemeinschaften und als...
Zu diesem Buch
Bis heute laufe ich jeden Tag eine Stunde in den Wald. Ich brauche diese Momente des Alleinseins. Die Ungestörtheit des Denkens schenkt mir Kraft und Gelassenheit und hat mir in vielen Situationen meines Lebens geholfen. Wo stehe ich gerade, was sind die nächsten Schritte? Sind meine Ziele realistisch, was kann ich besser machen? Solche Fragen haben mich über die Jahrzehnte hinweg begleitet - sie sind untrennbar mit meinem Lebensweg und dem Aufbau des Hauses Bertelsmann verbunden.
Im Jahre 1921 in Gütersloh geboren, hat mich das wechselvolle
20. Jahrhundert vor unzählige Aufgaben gestellt, von denen ich oft nicht wusste, wie ich sie bewältigen sollte. Nie hätte ich mir als junger Kriegsheimkehrer beim Anblick des zerstörten Verlagshauses im Januar 1946 träumen lassen, dass daraus ein Medienunternehmen erwachsen könnte, das am Beginn des
21. Jahrhunderts in über fünfzig Ländern vertreten ist und mehr als hunderttausend Mitarbeiter beschäftigt. Wie sehr haben sich die Existenzbedingungen in unserer Gesellschaft seit damals gewandelt! Weltweit haben die politischen und kulturellen Veränderungen in mehr als fünf Jahrzehnten einen Prozess der Globalisierung in Gang gesetzt, der unser tägliches Denken und Handeln in nie geahnter Weise herausfordert und auch die demokratische Entwicklung in Deutschland einer unablässigen Veränderung unterwirft.
Das Haus Bertelsmann hat in all den Jahren vielfältige Erfahrungen sammeln dürfen und seine unternehmerische Tätigkeit sowohl in Deutschland und Europa als auch in den USA, Russland, Indien und China unter unterschiedlichsten politischen Bedingungen entwickeln können. Diese Erfahrungen scheinen mir im Hinblick auf die Herausforderungen der Globalisierung aktueller denn je. Auf welche Weise ist uns mit Menschen unterschiedlichster Herkunft und Glaubensrichtungen ein Dialog gelungen? Welche unternehmerischen Entscheidungen waren notwendig, um einen internationalen Konzern mit mehr als hundert Tochtergesellschaften erfolgreich zu führen? Worin liegen die Gründe, dass es in Deutschland bei Bertelsmann zu meiner Zeit keinen Streik gegeben hat? Kurzum: Was ist das Geheimnis unseres Erfolgs, der mich, trotz mancher Rückschläge und unvermeidlicher Enttäuschungen, sagen lässt: Es hat sich gelohnt.
Und wenn ich mir heute, am Ende eines langen Weges, etwas wünschen dürfte, dann geht mein Blick in die Zukunft, und ich hoffe, dass die bei Bertelsmann erprobten Führungstechniken Bausteine für ein friedliches Miteinander der Kulturen bereithalten können.
Überall auf der Welt neigen die Menschen dazu, Gewohnheiten als endgültig zu betrachten und einmal bewährte Traditionen festzuschreiben. Die Angst vor dem Neuen, die Abwehr des Anderen und Fremden hat zu allen Zeiten die Bildung von
Vorurteilen und Dogmen befördert, die in der Schaffung von Nationalstaaten und der Ausbildung politischer Ordnungssysteme ihre historisch bedeutsamste Ausprägung erfahren haben. Doch schon die griechischen Philosophen wussten, dass die eigentliche Herausforderung des Lebens darin besteht, den Prozess des permanenten Wandels, des »panta rhei«1, anzunehmen.
Die geschichtliche Erfahrung, dass auch Macht und Gewalt auf Dauer die Ordnungen der Menschen nicht erhalten können, hat unverminderte Aktualität. Was also befähigt uns, die unaufhaltsamen Veränderungen im Bereich der Kultur und Politik, der Wirtschaft und der staatlichen Ordnungssysteme nicht nur zu erdulden, sondern als Chance zu begreifen, die Zukunft mit persönlicher Kraft und eigenständigem Handeln zu gestalten? Welche geistigen, gesellschaftspolitischen, wirtschaftlichen und sozialen Voraussetzungen sind nötig, damit das gelingt?
Ich bin diesen Fragen über Jahrzehnte nachgegangen und möchte nun versuchen, die für mich entscheidenden Beweggründe im Rückblick auf meine eigenen menschlichen und unternehmerischen Erfahrungen zu veranschaulichen.
Protestantische Traditionen und der Wunsch nach innerer Freiheit
Soweit ich zurückdenken kann, war ich von der Freiheit des eigenen Denkens fasziniert. Bis heute verblüfft mich, wie genau ich schon als sechzehnjähriger Schüler in einem Hausaufsatz2, in dem ich »Meine Gedanken bei der Wahl des Berufes« erörtern sollte, drei Aspekte hervorgehoben habe. Was mir damals für meine Zukunft bedeutsam erschien, hat für mich bis heute nichts von seiner Gültigkeit verloren: Verantwortung gegenüber der Gemeinschaft, persönliche Veranlagung und der Wunsch nach innerer Freiheit und einem mit Sinn erfüllten Leben.
Dabei mag meine Herkunft aus einem disziplinierten und streng religiös ausgerichteten Elternhaus eine wichtige Rolle gespielt haben. Sie hat meinem Charakter einen Ordnungsrahmen geboten, der schon früh Selbstdisziplin und Verantwortungsbewusstsein einforderte, in gleichem Maße jedoch auch meine Lust am Widerspruch beförderte und eine Suche nach persönlicher Veranlagung und innerer Motivation auslöste, die mir die christliche Erziehung allein nicht vermitteln konnte.
Wer wie ich mit vier älteren Geschwistern und einem jüngeren Bruder aufgewachsen ist, dem sind Freuden und Nöte der menschlichen Gemeinschaft von Kindesbeinen an vertraut. Die Rolle des besonders beachteten und geliebten Ältesten war im Hause meiner Eltern an meinen Bruder Hans Heinrich vergeben, die Rolle des Jüngsten blieb bis zur Geburt meines Bruders Gerd fünf Jahre unbesetzt, denn ein nach mir geborenes Mädchen war nicht lebensfähig. Der Klang der Kirchenglocken bei ihrer Beerdigung gehört zu meinen frühen Erinnerungen.
Ich galt als sensibles Kind, die Veranlagung meines Vaters zu Allergien hatte auch mich getroffen und machte mich recht anfällig für Erkältungskrankheiten. Krank sein aber hieß immer auch allein sein, der streng geführte Haushalt meiner Mutter Agnes ließ keine Sonderbehandlungen zu. So war ich spürbar das fünfte Kind in unserer großen Familie, das die Rituale unseres Familienlebens und die Aktivitäten seiner älteren Geschwister genau beobachtete, ohne sich dabei immer zugehörig zu fühlen. Wenn ich etwas nicht verstehen konnte, rebellierte ich innerlich und verweigerte mich mitunter. In einem auf christliche Erziehung und strenge Disziplin ausgerichteten Elternhaus musste das zu Konflikten führen.
Nicht selten empfing mein Vater, in seiner Funktion als Verleger des Hauses Bertelsmann, Autoren und Geschäftspartner beim Mittagstisch, um Verlagsangelegenheiten mit ihnen zu besprechen. Wir Kinder hatten dabei natürlich zu schweigen, was mir häufig schwerfiel und nicht immer einleuchtend erschien. So wurde ich des Öfteren von meiner Mutter zur Strafe in »die Ecke gestellt« und nach einiger Zeit gefragt, ob ich jetzt wieder brav sein wolle. Nein, das wolle ich durchaus nicht, erklärte ich zur Belustigung meiner Geschwister, und das ganze Spiel begann von vorn.
Meine Mutter Agnes war die Tochter des Gütersloher Pastors Seippel. Nach dem frühen Tod ihrer Mutter musste sie die Verantwortung für ihre jüngeren Geschwister übernehmen. Die daraus resultierende hohe Selbstdisziplin und ein unbedingter Wille zur Pflichterfüllung hat sie auch an uns Kinder weitergegeben. Mit liebevoller Strenge verantwortete sie unsere Erziehung in einem vielköpfigen Haushalt, zu dem Dienstboten und die Schulfreunde meiner älteren Geschwister als Pensionsgäste genauso gehörten wie die offiziellen Gäste meines Vaters. In meinen ersten Lebensjahren gehörten dazu auch mein Großvater Johannes Mohn und meine Großmutter Friederike, eine geborene Bertelsmann. Beide Familien wohnten nah beieinander und hielten engen Kontakt. Während meine Schwestern an der
Frauenoberschule ihre Abschlüsse machten, besuchten mein ältester Bruder Hans Heinrich und ich das Evangelisch-Stiftische Gymnasium in Gütersloh. Von einer gemeinsamen Schulzeit konnte man aber nicht wirklich sprechen. Als er sein Abitur mit »sehr gut« bestand, hatte ich gerade mit der Sexta begonnen.
Der große Altersunterschied zwischen uns Geschwistern führte auch noch zu anderen Erfahrungen. So reisten meine Eltern regelmäßig mit meinen vier älteren Geschwistern in den Ferien in die Schweiz oder in den Schwarzwald, während ich alljährlich in kirchliche Erholungsheime geschickt wurde. Ich habe das damals nicht verstanden. Von einem Tag auf den anderen blieb ich allein unter fremden Menschen zurück und sah mich, so jung wie ich war, völlig auf mich zurückgeworfen. Diese Erfahrung hat mich früh im Alleinsein geübt. Doch was mir als Kind schmerzlich naheging, forderte mich als Heranwachsenden heraus, mich mit mir auseinanderzusetzen: Warum widerfuhr mir das? War ich damit einverstanden? Was würde ich anders, was würde ich besser machen? Wer plötzlich ohne seine Familie und ein anteilnehmendes Gegenüber dasteht, lernt, mit sich selbst das Gespräch zu suchen. Und er erfährt, dass die eigenen Gedanken mitunter weiter tragen als das, was uns von außen vorgegeben wird. Das Alleinsein als Kind hat mich auch gelehrt, mit mir im Gespräch zu sein. Und ich bin es bis heute.
Die Tradition unseres 1835 gegründeten protestantischen Verlagshauses, das von meinen Eltern Heinrich und Agnes Mohn seit meinem Geburtsjahr 1921 in der vierten Generation geleitet wurde, war in unserer Familie stark spürbar. In den
Erzählungen der Großeltern wurden Anekdoten aus der Verlagsgeschichte lebendig. Immer wieder führten sie uns die historischen Anfänge der Verlagsgründung durch den protestantischen Steindrucker Carl Bertelsmann im Jahr 1835 vor Augen. Seine vielfältigen Erfahrungen als Kirchenvorstand und Stadtverordneter, dem in unternehmerischer wie in religiöser Hinsicht sein Sohn Heinrich nacheiferte, flossen wie selbstverständlich in die Familiengespräche ein. Auch mein Großvater Johannes Mohn hatte sich neben der Verlagsführung als Stadtverordneter, Presbyter, Kirchmeister und Kurator des von Carl Bertelsmann mitbegründeten Evangelisch-Stiftischen Gymnasiums in Gütersloh sowie als Vorsitzender verschiedener Missionsgemeinschaften und als...
Details
Erscheinungsjahr: 2010
Medium: Taschenbuch
Seiten: 192
Inhalt: 192 S.
ISBN-13: 9783442156443
ISBN-10: 3442156440
Sprache: Deutsch
Einband: Kartoniert / Broschiert
Autor: Mohn, Reinhard
goldmann verlag: Goldmann Verlag
penguin random house verlagsgruppe gmbh: Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH
Maße: 180 x 125 x 15 mm
Von/Mit: Reinhard Mohn
Erscheinungsdatum: 16.08.2010
Gewicht: 0,199 kg
preigu-id: 101171658
Details
Erscheinungsjahr: 2010
Medium: Taschenbuch
Seiten: 192
Inhalt: 192 S.
ISBN-13: 9783442156443
ISBN-10: 3442156440
Sprache: Deutsch
Einband: Kartoniert / Broschiert
Autor: Mohn, Reinhard
goldmann verlag: Goldmann Verlag
penguin random house verlagsgruppe gmbh: Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH
Maße: 180 x 125 x 15 mm
Von/Mit: Reinhard Mohn
Erscheinungsdatum: 16.08.2010
Gewicht: 0,199 kg
preigu-id: 101171658
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