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Stunde der Stille
Roman
Buch von Ivan Klíma
Sprache: Deutsch

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Beschreibung
LaboreckýÜber dem Wasser schwebte eine dünne, kalte Dunstschicht. Die Männer hatten die Hosenbeine hochgekrempelt, eiskalt perlten die Tropfen an ihren Waden hinab, sie konnten sie aber nicht abwischen. Sie zogen mit beiden Händen am Netz. Sie verfingen sich im überfluteten Gestrüpp, stolperten über versteckte Löcher, zitterten vor Kälte und fluchten.Molnár ging voraus. Er war der Flusswächter, er bewachte also den Fluss und war für das Stück Damm bis zum Wald zuständig. Er notierte die Wasserstände und stellte an den Tagen, an denen der Fluss und der Kanal so wie jetzt über die Ufer traten und die Fische im weiten Wiesenland weideten, die Richtung ihrer Irrwege fest, damit sie wieder mit dem Netz eingefangen werden konnten. Er musste seine Leute ab und zu anschnauzen, aber sie mochten ihn gerne, denn er bewahrte stets gute Laune, was immer das Leben auch brachte. In der letzten Zeit aber war selbst ihm die Lust zu scherzen vergangen. Der ältere seiner Söhne war an der russischen Front gefallen, und seine Frau lag krank darnieder. Er alterte zusehends und magerte stark ab, und das Lachen blitzte nur noch selten in seinen Augen auf, durchdrungen von einem unablässigen Schmerz.Das Netz war nun vollends gespannt. Molnár beugte sich zum Wasser hinab, fand einen Pflock und begann, das Netz rasch mit Knoten festzubinden.In der Ferne rief jemand seinen Namen, doch er blickte sich nicht einmal um. Von seinen Händen trieb das Wasser in stillen Ringen weg und flutete träge zwischen den Maschen des Netzes hindurch.Seman, der ihm am nächsten stand, schrie: "Pavel ruft dich. Du sollst nach Hause kommen!"Molnár erschrak, bemühte sich aber sogleich, die Angst zu verscheuchen. Das wäre zu viel auf einmal: im Sommer der Sohn und jetzt die Frau. "Wird nichts sein", sagte er laut, "wahrscheinlich ist der alte Baron gekommen und lädt mich zum Mittagessen ein!"Seman lachte laut auf, und Molnár schürzte hastig den letzten Knoten. Dann watete er so schnell er konnte an dem gespannten Netz entlang. "Lass es dir schmecken", rief ihm Seman nach.Seine Frau hatte die ganze Nacht vor Schmerzen geweint, aber am Morgen war sie dann ruhig dagelegen - sicher ein gutes Zeichen.Er rollte die Hosenbeine am Ufer rasch hinunter."Laborecký ist gekommen und hat mich geschickt, dass ich dich hole", sagte ihm sein Sohn. Er war mager und groß für seine dreizehn Jahre."Was macht Mama?", fragte er. "Hat sie geweint?""Sie hat gebetet!""Aha." Er hatte den Eindruck, dass sein Sohn noch etwas hinzufügen wollte. Es beunruhigte ihn manchmal, wenn Pavel schwieg. Der ältere Sohn, Vilo, der nicht mehr unter den Lebenden weilte, hatte ihn nie beunruhigt, der war nach ihm geraten, sie waren sich sehr ähnlich gewesen, und er hatte Vilo genauso gut verstanden wie sich selbst. Pavel jedoch kam ihm manchmal ganz fremd vor, er lachte nie laut und konnte Stunden lang schweigen. Einmal, als er seinen Sohn beobachtet hatte, war es ihm vorgekommen, als ob sich Pavel in Gedanken die ganze Zeit über mit jemandem unterhielte, denn hin und wieder zeigte sich ein scheues Lächeln auf dem Gesicht des Jungen."Woran denkst du?""An Vilo", hatte der Junge geantwortet, "ich stelle ihn mir vor, wie er dort liegt.""Daran solltest du nicht denken!""Er hat mir eine Harmonika versprochen, bevor er weggefahren ist!" Und er fuhr fort: "Angeblich hört der Mensch danach nur noch Musik. Aber ich glaube, dass drüben Stille herrscht."Sie gingen die einzige breite Straße des Dorfes entlang, Häuschen mit Storchennestern auf den grünen Dächern, Holzzäunen und riesigen Zugstangen an den Brunnen kauerten auf beiden Seiten. "Warte, bis erst der Krieg vorbei ist", versprach Molnár, "dann kaufen wir uns eine Harmonika, du singst, ich spiele, und wir ziehen zusammen umher. Wir werden viel sehen. In Amerika wirst du hundertstöckige Häuser und noch höhere Dämme am Meer sehen. Dann kommst du zurück und baust das alles hier."Ein sehr altes Märchen, er erzählte es Pavel oft, aber Pavel glaubte nicht mehr recht daran.Ihr Haus st
LaboreckýÜber dem Wasser schwebte eine dünne, kalte Dunstschicht. Die Männer hatten die Hosenbeine hochgekrempelt, eiskalt perlten die Tropfen an ihren Waden hinab, sie konnten sie aber nicht abwischen. Sie zogen mit beiden Händen am Netz. Sie verfingen sich im überfluteten Gestrüpp, stolperten über versteckte Löcher, zitterten vor Kälte und fluchten.Molnár ging voraus. Er war der Flusswächter, er bewachte also den Fluss und war für das Stück Damm bis zum Wald zuständig. Er notierte die Wasserstände und stellte an den Tagen, an denen der Fluss und der Kanal so wie jetzt über die Ufer traten und die Fische im weiten Wiesenland weideten, die Richtung ihrer Irrwege fest, damit sie wieder mit dem Netz eingefangen werden konnten. Er musste seine Leute ab und zu anschnauzen, aber sie mochten ihn gerne, denn er bewahrte stets gute Laune, was immer das Leben auch brachte. In der letzten Zeit aber war selbst ihm die Lust zu scherzen vergangen. Der ältere seiner Söhne war an der russischen Front gefallen, und seine Frau lag krank darnieder. Er alterte zusehends und magerte stark ab, und das Lachen blitzte nur noch selten in seinen Augen auf, durchdrungen von einem unablässigen Schmerz.Das Netz war nun vollends gespannt. Molnár beugte sich zum Wasser hinab, fand einen Pflock und begann, das Netz rasch mit Knoten festzubinden.In der Ferne rief jemand seinen Namen, doch er blickte sich nicht einmal um. Von seinen Händen trieb das Wasser in stillen Ringen weg und flutete träge zwischen den Maschen des Netzes hindurch.Seman, der ihm am nächsten stand, schrie: "Pavel ruft dich. Du sollst nach Hause kommen!"Molnár erschrak, bemühte sich aber sogleich, die Angst zu verscheuchen. Das wäre zu viel auf einmal: im Sommer der Sohn und jetzt die Frau. "Wird nichts sein", sagte er laut, "wahrscheinlich ist der alte Baron gekommen und lädt mich zum Mittagessen ein!"Seman lachte laut auf, und Molnár schürzte hastig den letzten Knoten. Dann watete er so schnell er konnte an dem gespannten Netz entlang. "Lass es dir schmecken", rief ihm Seman nach.Seine Frau hatte die ganze Nacht vor Schmerzen geweint, aber am Morgen war sie dann ruhig dagelegen - sicher ein gutes Zeichen.Er rollte die Hosenbeine am Ufer rasch hinunter."Laborecký ist gekommen und hat mich geschickt, dass ich dich hole", sagte ihm sein Sohn. Er war mager und groß für seine dreizehn Jahre."Was macht Mama?", fragte er. "Hat sie geweint?""Sie hat gebetet!""Aha." Er hatte den Eindruck, dass sein Sohn noch etwas hinzufügen wollte. Es beunruhigte ihn manchmal, wenn Pavel schwieg. Der ältere Sohn, Vilo, der nicht mehr unter den Lebenden weilte, hatte ihn nie beunruhigt, der war nach ihm geraten, sie waren sich sehr ähnlich gewesen, und er hatte Vilo genauso gut verstanden wie sich selbst. Pavel jedoch kam ihm manchmal ganz fremd vor, er lachte nie laut und konnte Stunden lang schweigen. Einmal, als er seinen Sohn beobachtet hatte, war es ihm vorgekommen, als ob sich Pavel in Gedanken die ganze Zeit über mit jemandem unterhielte, denn hin und wieder zeigte sich ein scheues Lächeln auf dem Gesicht des Jungen."Woran denkst du?""An Vilo", hatte der Junge geantwortet, "ich stelle ihn mir vor, wie er dort liegt.""Daran solltest du nicht denken!""Er hat mir eine Harmonika versprochen, bevor er weggefahren ist!" Und er fuhr fort: "Angeblich hört der Mensch danach nur noch Musik. Aber ich glaube, dass drüben Stille herrscht."Sie gingen die einzige breite Straße des Dorfes entlang, Häuschen mit Storchennestern auf den grünen Dächern, Holzzäunen und riesigen Zugstangen an den Brunnen kauerten auf beiden Seiten. "Warte, bis erst der Krieg vorbei ist", versprach Molnár, "dann kaufen wir uns eine Harmonika, du singst, ich spiele, und wir ziehen zusammen umher. Wir werden viel sehen. In Amerika wirst du hundertstöckige Häuser und noch höhere Dämme am Meer sehen. Dann kommst du zurück und baust das alles hier."Ein sehr altes Märchen, er erzählte es Pavel oft, aber Pavel glaubte nicht mehr recht daran.Ihr Haus st
Details
Erscheinungsjahr: 2012
Medium: Buch
Seiten: 253
Originaltitel: Hodina Ticha
Inhalt: 253 S.
ISBN-13: 9783887472689
ISBN-10: 3887472683
Sprache: Deutsch
Einband: Gebunden
Autor: Klíma, Ivan
Übersetzung: Maria Hammerich-Maier
transit buchverlag gmbh: Transit Buchverlag GmbH
Maße: 220 x 150 x 25 mm
Von/Mit: Ivan Klíma
Erscheinungsdatum: 28.02.2012
Gewicht: 0,454 kg
preigu-id: 106709809
Details
Erscheinungsjahr: 2012
Medium: Buch
Seiten: 253
Originaltitel: Hodina Ticha
Inhalt: 253 S.
ISBN-13: 9783887472689
ISBN-10: 3887472683
Sprache: Deutsch
Einband: Gebunden
Autor: Klíma, Ivan
Übersetzung: Maria Hammerich-Maier
transit buchverlag gmbh: Transit Buchverlag GmbH
Maße: 220 x 150 x 25 mm
Von/Mit: Ivan Klíma
Erscheinungsdatum: 28.02.2012
Gewicht: 0,454 kg
preigu-id: 106709809
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