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Beschreibung
Januar 1991
Nartum, Di 1. Januar 1991, Neujahr, Sonne,
kein knirschender Schnee
Nationalfeiertag der Republik Kuba
Flüchtlinge aus Mocambique landen in Finnland! Wann tauchen wohl die ersten Finnen in Mocambique auf? - Mocambique: der Schauplatz von Massenmorden an Indern, war das 1962? Damals jagten sie die Inder raus, wenn sie sie nicht gar totschlugen. Alles schon vergessen? Es gibt Fotos davon, wie die Inder, die sich wohl sehr breitgemacht hatten in dem Land, mit flatternden Burnussen vor dem schwarzen, säbelschwingenden Mob fliehen. Wenn sie die tüchtigen Inder dagelassen hätten, hätten die Mocambiquer jetzt wahrscheinlich nicht Asyl suchen müssen in Finnland.
Die ganze Weltgeschichte dreht sich um den Satz: Wenn meine Tante Räder hätte ...
Wie die Eskimos sich wohl über die ersten europäischen Schiffbrüchigen gewundert haben! Im 19. Jahrhundert. Mit Zylinder und Uhrkette? Jetzt sind es womöglich die Eskimos, die mit Zylinderhut herumlaufen, und die weißen Pipelineforscher wie die alten Eskimos, die sich übrigens selbst ganz anders nennen. - Hübsche Schnitzereien fertigen sie an, doch meistens sollen sie betrunken sein. Aber ich will nichts gesagt haben. Ob's da auch ein Goethe-Institut gibt?
Das Mozartjahr wird eingeläutet. Wie beim Pferderennen, da läuten sie doch auch? Oder ist es die letzte Runde, die mit einer Glocke angezeigt wird? Für unsereinen wird jedenfalls hinterher geläutet, mit einer hellen Totenglocke. Es gibt wohl keinen größeren Gegensatz als Mocambique und Mozart. Mit Entwicklungshilfe wird in Mocambique bereits ein philharmonisches Orchester entstanden sein. Elfenbein für Taktstöcke haben sie selbst.
Mocambique: hab' nachgesehen, schwärzere Menschen gibt's nicht auf der Welt. Mit Tellern in der Lippe und Messingringen um den Hals. Was machen sie mit den Flöhen, die daruntergeraten? Wenn ein Finne mit seiner bunten Zipfelmütze so ein Kind des Urwalds heiratet, das muß lustig sein. Da kommen sie beim Tanzen sicher durcheinander.
Die Finnen schliffen sich Dolche, mit denen sie nächtens Russen die Gurgel durchschnitten. Sie reden finnisch-ugrisch. Gibt es Ugrier? Ungarn sind damit gemeint. Ob die einander verstehen? Wohl nur beim Saufen. - Früher waren die Finnen mal sehr deutschfreundlich. Mannerheim trug sogar das Ritterkreuz.
Der Winterkrieg gegen die Russen. Daß die Russen ihn verloren, hat Hitler ermutigt, 1941 gegen die Sowjets loszuschlagen. Diese altertümlichen Tanks. Aber die Russen haben auch gelernt aus der blamablen Niederlage. Später haben die Finnen uns dann "verraten", wofür wir ihnen die Dörfer niedergebrannt haben.
Gestern nachmittag kam Hochhuth, ein Hamburger Buchhändler, der bei der Wieser-Affäre trotzig seine Schaufenster voll Kempowskis gestellt hatte. Er wollte mir jetzt ein häßliches Gemälde mit einer Weintraube drauf verkaufen, irgendwie ein Samariter-Akt zugunsten eines Jungfilmers namens Karol Schneeweiß, den er mitbrachte, blond wie sein Name. Wir aßen Fondue und redeten bis weit nach Mitternacht über seine Filmversion der "Hundstage". Sahen auch seinen Film (Rohschnitt) über Burkhard Driest, mit dem ich zweierlei gemeinsam habe: Erstens, er hat gesessen, und zweitens, er ist aus Göttingen. Die Frauen stehen auf ihn, wegen seiner Akne, von welcher ich keine Spuren aufweise. Soll ich "leider" sagen?
Heute früh ließ ich's ruhig angehen. Schrieb etwas und nachmittags langer Spaziergang mit Hildegard, dann wieder geschrieben und Klavier. Die Schumannsche "Träumerei" soll man jetzt rasend schnell spielen, mit einem Affenzahn. Ich spielte sie weder langsam noch schnell, ich spielte sie gar nicht. "Glückes genug" neulich im Radio, so schnell, daß ich's nicht erkannte. Ich dachte: Was spielen die denn da? Und dabei hat meine Mutter es früher doch jeden Tag vom Stapel gelassen und immer mit so viel Gefühl.
Gegen Abend kam Tanja. Gespräch über bessere "Vermarktung" meiner Bücher. Will sie's in die Hand nehmen? Dann zwei Seminarteilnehmer, vorzeitig. Sie beteiligten sich an dem Gespräch über Vermarktung, obwohl Diplomingenieur und Volksschullehrerin. Müde, abgespannt.
Ach, wieviel Leute wollten mich schon vermarkten!
Das vorige Jahr begann mit der "Stern"-Affäre, die mich zwar sehr mitnahm, die letzten Endes aber gut ausging. Wer hat ein Interesse daran, mich in die Pfanne zu hauen? Eine Frau aus ROSTOCK soll es gewesen sein! Und ich kenne sie! Ging ein und aus bei uns. "Es ist mir so rausgerutscht", sagte sie. So was kann in anderen Fällen viel schlimmere Folgen haben. Danach dann gleich mein erster Besuch in Rostock mit Robert und Lesung in der dortigen Kunsthalle. Die gehässige Gastgeberin sei nicht vergessen.
Dann hatte ich die Koliken, die zu einem Umbau meines oberen Zimmers führten, und nun geht es mir besser. Die giftverseuchten Wandplatten wurden rausgeschmissen. Das ganze Jahr '90 dann kaum noch Leibschneiden. Dann wurde mit Duyns der Bautzen-Film gedreht und von den Kölner Damen der Film über Rostock.
Sommertage in Graal. Menschenleerer Strand, kleine schwappende Wellen. Erinnerungen an den Sommer 1937, als ich dort mit meiner Mutter allein drei Wochen verbrachte. (Robert: "Das muß für dich sehr schön gewesen sein.") Sie sollte sich von einer Operation erholen. Erinnerungen an ein "kleines Helles", das sie sich bestellte. Und einem Herrn am Nachbartisch küßte ich im verwirrten Zustand seine Glatze. Daß er kinderlos war, konnte ich nicht ahnen.
Weimar zweimal, Greiz und Vortragstour im Allgäu mit Denk. "Sirius" und das beschissene Rostock-Buch zur TV-Sendung. Nochmals Rostock (Universität, Doberan-Lesung im Haus von dem Kollegen Ehm Welk). Ich saß an seinem Schreibtisch. In seinen Schränken viel Unveröffentlichtes. Nach der Lesung wurde ich von zwei ehemaligen Internierten angesprochen, die meinten, weil ich in Bautzen gesessen habe, sei ich einer der Ihren. Ehm Welk jedenfalls war Mitglied der KPD. Der hatte sich, weil er dachte, daß er schlau sei, vor dem Krieg ein Stück Land in der Uckermark gekauft. Hat ihm nichts genützt! Er wurde ratzeputz enteignet. Aber sein schönes Haus jetzt? Wenn auch die Kleinbahn alle Viertelstunde vorbeirasselt. Eine ganz hübsche Existenz.
Aufträge für "Hörzu" und Hagen. Gegenströmungen ausgehalten. Viel Widerwärtiges in diesem Zusammenhang. Neuordnung der Archive, Scheidung in Grün und Blau und Gelb.
2007: Hat sich als sehr praktisch erwiesen. Gelb = Fotoarchiv, Grün = meine Manuskripte und Blau = die Einsendungen, das "Fremdarchiv". Ohne diese Einteilung hätte ich schon sehr bald die Übersicht verloren. Sie wurde auch vom Archiv der Akademie in Berlin übernommen.
Feste Anstellung von Simone.
Beginn mit "Alkor" und Vorantreiben des "Echolot".
Finanzielle Befreiung durch Verlag.
Nartum, Di 1. Januar 1991, Neujahr, Sonne,
kein knirschender Schnee
Nationalfeiertag der Republik Kuba
Flüchtlinge aus Mocambique landen in Finnland! Wann tauchen wohl die ersten Finnen in Mocambique auf? - Mocambique: der Schauplatz von Massenmorden an Indern, war das 1962? Damals jagten sie die Inder raus, wenn sie sie nicht gar totschlugen. Alles schon vergessen? Es gibt Fotos davon, wie die Inder, die sich wohl sehr breitgemacht hatten in dem Land, mit flatternden Burnussen vor dem schwarzen, säbelschwingenden Mob fliehen. Wenn sie die tüchtigen Inder dagelassen hätten, hätten die Mocambiquer jetzt wahrscheinlich nicht Asyl suchen müssen in Finnland.
Die ganze Weltgeschichte dreht sich um den Satz: Wenn meine Tante Räder hätte ...
Wie die Eskimos sich wohl über die ersten europäischen Schiffbrüchigen gewundert haben! Im 19. Jahrhundert. Mit Zylinder und Uhrkette? Jetzt sind es womöglich die Eskimos, die mit Zylinderhut herumlaufen, und die weißen Pipelineforscher wie die alten Eskimos, die sich übrigens selbst ganz anders nennen. - Hübsche Schnitzereien fertigen sie an, doch meistens sollen sie betrunken sein. Aber ich will nichts gesagt haben. Ob's da auch ein Goethe-Institut gibt?
Das Mozartjahr wird eingeläutet. Wie beim Pferderennen, da läuten sie doch auch? Oder ist es die letzte Runde, die mit einer Glocke angezeigt wird? Für unsereinen wird jedenfalls hinterher geläutet, mit einer hellen Totenglocke. Es gibt wohl keinen größeren Gegensatz als Mocambique und Mozart. Mit Entwicklungshilfe wird in Mocambique bereits ein philharmonisches Orchester entstanden sein. Elfenbein für Taktstöcke haben sie selbst.
Mocambique: hab' nachgesehen, schwärzere Menschen gibt's nicht auf der Welt. Mit Tellern in der Lippe und Messingringen um den Hals. Was machen sie mit den Flöhen, die daruntergeraten? Wenn ein Finne mit seiner bunten Zipfelmütze so ein Kind des Urwalds heiratet, das muß lustig sein. Da kommen sie beim Tanzen sicher durcheinander.
Die Finnen schliffen sich Dolche, mit denen sie nächtens Russen die Gurgel durchschnitten. Sie reden finnisch-ugrisch. Gibt es Ugrier? Ungarn sind damit gemeint. Ob die einander verstehen? Wohl nur beim Saufen. - Früher waren die Finnen mal sehr deutschfreundlich. Mannerheim trug sogar das Ritterkreuz.
Der Winterkrieg gegen die Russen. Daß die Russen ihn verloren, hat Hitler ermutigt, 1941 gegen die Sowjets loszuschlagen. Diese altertümlichen Tanks. Aber die Russen haben auch gelernt aus der blamablen Niederlage. Später haben die Finnen uns dann "verraten", wofür wir ihnen die Dörfer niedergebrannt haben.
Gestern nachmittag kam Hochhuth, ein Hamburger Buchhändler, der bei der Wieser-Affäre trotzig seine Schaufenster voll Kempowskis gestellt hatte. Er wollte mir jetzt ein häßliches Gemälde mit einer Weintraube drauf verkaufen, irgendwie ein Samariter-Akt zugunsten eines Jungfilmers namens Karol Schneeweiß, den er mitbrachte, blond wie sein Name. Wir aßen Fondue und redeten bis weit nach Mitternacht über seine Filmversion der "Hundstage". Sahen auch seinen Film (Rohschnitt) über Burkhard Driest, mit dem ich zweierlei gemeinsam habe: Erstens, er hat gesessen, und zweitens, er ist aus Göttingen. Die Frauen stehen auf ihn, wegen seiner Akne, von welcher ich keine Spuren aufweise. Soll ich "leider" sagen?
Heute früh ließ ich's ruhig angehen. Schrieb etwas und nachmittags langer Spaziergang mit Hildegard, dann wieder geschrieben und Klavier. Die Schumannsche "Träumerei" soll man jetzt rasend schnell spielen, mit einem Affenzahn. Ich spielte sie weder langsam noch schnell, ich spielte sie gar nicht. "Glückes genug" neulich im Radio, so schnell, daß ich's nicht erkannte. Ich dachte: Was spielen die denn da? Und dabei hat meine Mutter es früher doch jeden Tag vom Stapel gelassen und immer mit so viel Gefühl.
Gegen Abend kam Tanja. Gespräch über bessere "Vermarktung" meiner Bücher. Will sie's in die Hand nehmen? Dann zwei Seminarteilnehmer, vorzeitig. Sie beteiligten sich an dem Gespräch über Vermarktung, obwohl Diplomingenieur und Volksschullehrerin. Müde, abgespannt.
Ach, wieviel Leute wollten mich schon vermarkten!
Das vorige Jahr begann mit der "Stern"-Affäre, die mich zwar sehr mitnahm, die letzten Endes aber gut ausging. Wer hat ein Interesse daran, mich in die Pfanne zu hauen? Eine Frau aus ROSTOCK soll es gewesen sein! Und ich kenne sie! Ging ein und aus bei uns. "Es ist mir so rausgerutscht", sagte sie. So was kann in anderen Fällen viel schlimmere Folgen haben. Danach dann gleich mein erster Besuch in Rostock mit Robert und Lesung in der dortigen Kunsthalle. Die gehässige Gastgeberin sei nicht vergessen.
Dann hatte ich die Koliken, die zu einem Umbau meines oberen Zimmers führten, und nun geht es mir besser. Die giftverseuchten Wandplatten wurden rausgeschmissen. Das ganze Jahr '90 dann kaum noch Leibschneiden. Dann wurde mit Duyns der Bautzen-Film gedreht und von den Kölner Damen der Film über Rostock.
Sommertage in Graal. Menschenleerer Strand, kleine schwappende Wellen. Erinnerungen an den Sommer 1937, als ich dort mit meiner Mutter allein drei Wochen verbrachte. (Robert: "Das muß für dich sehr schön gewesen sein.") Sie sollte sich von einer Operation erholen. Erinnerungen an ein "kleines Helles", das sie sich bestellte. Und einem Herrn am Nachbartisch küßte ich im verwirrten Zustand seine Glatze. Daß er kinderlos war, konnte ich nicht ahnen.
Weimar zweimal, Greiz und Vortragstour im Allgäu mit Denk. "Sirius" und das beschissene Rostock-Buch zur TV-Sendung. Nochmals Rostock (Universität, Doberan-Lesung im Haus von dem Kollegen Ehm Welk). Ich saß an seinem Schreibtisch. In seinen Schränken viel Unveröffentlichtes. Nach der Lesung wurde ich von zwei ehemaligen Internierten angesprochen, die meinten, weil ich in Bautzen gesessen habe, sei ich einer der Ihren. Ehm Welk jedenfalls war Mitglied der KPD. Der hatte sich, weil er dachte, daß er schlau sei, vor dem Krieg ein Stück Land in der Uckermark gekauft. Hat ihm nichts genützt! Er wurde ratzeputz enteignet. Aber sein schönes Haus jetzt? Wenn auch die Kleinbahn alle Viertelstunde vorbeirasselt. Eine ganz hübsche Existenz.
Aufträge für "Hörzu" und Hagen. Gegenströmungen ausgehalten. Viel Widerwärtiges in diesem Zusammenhang. Neuordnung der Archive, Scheidung in Grün und Blau und Gelb.
2007: Hat sich als sehr praktisch erwiesen. Gelb = Fotoarchiv, Grün = meine Manuskripte und Blau = die Einsendungen, das "Fremdarchiv". Ohne diese Einteilung hätte ich schon sehr bald die Übersicht verloren. Sie wurde auch vom Archiv der Akademie in Berlin übernommen.
Feste Anstellung von Simone.
Beginn mit "Alkor" und Vorantreiben des "Echolot".
Finanzielle Befreiung durch Verlag.
Januar 1991
Nartum, Di 1. Januar 1991, Neujahr, Sonne,
kein knirschender Schnee
Nationalfeiertag der Republik Kuba
Flüchtlinge aus Mocambique landen in Finnland! Wann tauchen wohl die ersten Finnen in Mocambique auf? - Mocambique: der Schauplatz von Massenmorden an Indern, war das 1962? Damals jagten sie die Inder raus, wenn sie sie nicht gar totschlugen. Alles schon vergessen? Es gibt Fotos davon, wie die Inder, die sich wohl sehr breitgemacht hatten in dem Land, mit flatternden Burnussen vor dem schwarzen, säbelschwingenden Mob fliehen. Wenn sie die tüchtigen Inder dagelassen hätten, hätten die Mocambiquer jetzt wahrscheinlich nicht Asyl suchen müssen in Finnland.
Die ganze Weltgeschichte dreht sich um den Satz: Wenn meine Tante Räder hätte ...
Wie die Eskimos sich wohl über die ersten europäischen Schiffbrüchigen gewundert haben! Im 19. Jahrhundert. Mit Zylinder und Uhrkette? Jetzt sind es womöglich die Eskimos, die mit Zylinderhut herumlaufen, und die weißen Pipelineforscher wie die alten Eskimos, die sich übrigens selbst ganz anders nennen. - Hübsche Schnitzereien fertigen sie an, doch meistens sollen sie betrunken sein. Aber ich will nichts gesagt haben. Ob's da auch ein Goethe-Institut gibt?
Das Mozartjahr wird eingeläutet. Wie beim Pferderennen, da läuten sie doch auch? Oder ist es die letzte Runde, die mit einer Glocke angezeigt wird? Für unsereinen wird jedenfalls hinterher geläutet, mit einer hellen Totenglocke. Es gibt wohl keinen größeren Gegensatz als Mocambique und Mozart. Mit Entwicklungshilfe wird in Mocambique bereits ein philharmonisches Orchester entstanden sein. Elfenbein für Taktstöcke haben sie selbst.
Mocambique: hab' nachgesehen, schwärzere Menschen gibt's nicht auf der Welt. Mit Tellern in der Lippe und Messingringen um den Hals. Was machen sie mit den Flöhen, die daruntergeraten? Wenn ein Finne mit seiner bunten Zipfelmütze so ein Kind des Urwalds heiratet, das muß lustig sein. Da kommen sie beim Tanzen sicher durcheinander.
Die Finnen schliffen sich Dolche, mit denen sie nächtens Russen die Gurgel durchschnitten. Sie reden finnisch-ugrisch. Gibt es Ugrier? Ungarn sind damit gemeint. Ob die einander verstehen? Wohl nur beim Saufen. - Früher waren die Finnen mal sehr deutschfreundlich. Mannerheim trug sogar das Ritterkreuz.
Der Winterkrieg gegen die Russen. Daß die Russen ihn verloren, hat Hitler ermutigt, 1941 gegen die Sowjets loszuschlagen. Diese altertümlichen Tanks. Aber die Russen haben auch gelernt aus der blamablen Niederlage. Später haben die Finnen uns dann "verraten", wofür wir ihnen die Dörfer niedergebrannt haben.
Gestern nachmittag kam Hochhuth, ein Hamburger Buchhändler, der bei der Wieser-Affäre trotzig seine Schaufenster voll Kempowskis gestellt hatte. Er wollte mir jetzt ein häßliches Gemälde mit einer Weintraube drauf verkaufen, irgendwie ein Samariter-Akt zugunsten eines Jungfilmers namens Karol Schneeweiß, den er mitbrachte, blond wie sein Name. Wir aßen Fondue und redeten bis weit nach Mitternacht über seine Filmversion der "Hundstage". Sahen auch seinen Film (Rohschnitt) über Burkhard Driest, mit dem ich zweierlei gemeinsam habe: Erstens, er hat gesessen, und zweitens, er ist aus Göttingen. Die Frauen stehen auf ihn, wegen seiner Akne, von welcher ich keine Spuren aufweise. Soll ich "leider" sagen?
Heute früh ließ ich's ruhig angehen. Schrieb etwas und nachmittags langer Spaziergang mit Hildegard, dann wieder geschrieben und Klavier. Die Schumannsche "Träumerei" soll man jetzt rasend schnell spielen, mit einem Affenzahn. Ich spielte sie weder langsam noch schnell, ich spielte sie gar nicht. "Glückes genug" neulich im Radio, so schnell, daß ich's nicht erkannte. Ich dachte: Was spielen die denn da? Und dabei hat meine Mutter es früher doch jeden Tag vom Stapel gelassen und immer mit so viel Gefühl.
Gegen Abend kam Tanja. Gespräch über bessere "Vermarktung" meiner Bücher. Will sie's in die Hand nehmen? Dann zwei Seminarteilnehmer, vorzeitig. Sie beteiligten sich an dem Gespräch über Vermarktung, obwohl Diplomingenieur und Volksschullehrerin. Müde, abgespannt.
Ach, wieviel Leute wollten mich schon vermarkten!
Das vorige Jahr begann mit der "Stern"-Affäre, die mich zwar sehr mitnahm, die letzten Endes aber gut ausging. Wer hat ein Interesse daran, mich in die Pfanne zu hauen? Eine Frau aus ROSTOCK soll es gewesen sein! Und ich kenne sie! Ging ein und aus bei uns. "Es ist mir so rausgerutscht", sagte sie. So was kann in anderen Fällen viel schlimmere Folgen haben. Danach dann gleich mein erster Besuch in Rostock mit Robert und Lesung in der dortigen Kunsthalle. Die gehässige Gastgeberin sei nicht vergessen.
Dann hatte ich die Koliken, die zu einem Umbau meines oberen Zimmers führten, und nun geht es mir besser. Die giftverseuchten Wandplatten wurden rausgeschmissen. Das ganze Jahr '90 dann kaum noch Leibschneiden. Dann wurde mit Duyns der Bautzen-Film gedreht und von den Kölner Damen der Film über Rostock.
Sommertage in Graal. Menschenleerer Strand, kleine schwappende Wellen. Erinnerungen an den Sommer 1937, als ich dort mit meiner Mutter allein drei Wochen verbrachte. (Robert: "Das muß für dich sehr schön gewesen sein.") Sie sollte sich von einer Operation erholen. Erinnerungen an ein "kleines Helles", das sie sich bestellte. Und einem Herrn am Nachbartisch küßte ich im verwirrten Zustand seine Glatze. Daß er kinderlos war, konnte ich nicht ahnen.
Weimar zweimal, Greiz und Vortragstour im Allgäu mit Denk. "Sirius" und das beschissene Rostock-Buch zur TV-Sendung. Nochmals Rostock (Universität, Doberan-Lesung im Haus von dem Kollegen Ehm Welk). Ich saß an seinem Schreibtisch. In seinen Schränken viel Unveröffentlichtes. Nach der Lesung wurde ich von zwei ehemaligen Internierten angesprochen, die meinten, weil ich in Bautzen gesessen habe, sei ich einer der Ihren. Ehm Welk jedenfalls war Mitglied der KPD. Der hatte sich, weil er dachte, daß er schlau sei, vor dem Krieg ein Stück Land in der Uckermark gekauft. Hat ihm nichts genützt! Er wurde ratzeputz enteignet. Aber sein schönes Haus jetzt? Wenn auch die Kleinbahn alle Viertelstunde vorbeirasselt. Eine ganz hübsche Existenz.
Aufträge für "Hörzu" und Hagen. Gegenströmungen ausgehalten. Viel Widerwärtiges in diesem Zusammenhang. Neuordnung der Archive, Scheidung in Grün und Blau und Gelb.
2007: Hat sich als sehr praktisch erwiesen. Gelb = Fotoarchiv, Grün = meine Manuskripte und Blau = die Einsendungen, das "Fremdarchiv". Ohne diese Einteilung hätte ich schon sehr bald die Übersicht verloren. Sie wurde auch vom Archiv der Akademie in Berlin übernommen.
Feste Anstellung von Simone.
Beginn mit "Alkor" und Vorantreiben des "Echolot".
Finanzielle Befreiung durch Verlag.
Nartum, Di 1. Januar 1991, Neujahr, Sonne,
kein knirschender Schnee
Nationalfeiertag der Republik Kuba
Flüchtlinge aus Mocambique landen in Finnland! Wann tauchen wohl die ersten Finnen in Mocambique auf? - Mocambique: der Schauplatz von Massenmorden an Indern, war das 1962? Damals jagten sie die Inder raus, wenn sie sie nicht gar totschlugen. Alles schon vergessen? Es gibt Fotos davon, wie die Inder, die sich wohl sehr breitgemacht hatten in dem Land, mit flatternden Burnussen vor dem schwarzen, säbelschwingenden Mob fliehen. Wenn sie die tüchtigen Inder dagelassen hätten, hätten die Mocambiquer jetzt wahrscheinlich nicht Asyl suchen müssen in Finnland.
Die ganze Weltgeschichte dreht sich um den Satz: Wenn meine Tante Räder hätte ...
Wie die Eskimos sich wohl über die ersten europäischen Schiffbrüchigen gewundert haben! Im 19. Jahrhundert. Mit Zylinder und Uhrkette? Jetzt sind es womöglich die Eskimos, die mit Zylinderhut herumlaufen, und die weißen Pipelineforscher wie die alten Eskimos, die sich übrigens selbst ganz anders nennen. - Hübsche Schnitzereien fertigen sie an, doch meistens sollen sie betrunken sein. Aber ich will nichts gesagt haben. Ob's da auch ein Goethe-Institut gibt?
Das Mozartjahr wird eingeläutet. Wie beim Pferderennen, da läuten sie doch auch? Oder ist es die letzte Runde, die mit einer Glocke angezeigt wird? Für unsereinen wird jedenfalls hinterher geläutet, mit einer hellen Totenglocke. Es gibt wohl keinen größeren Gegensatz als Mocambique und Mozart. Mit Entwicklungshilfe wird in Mocambique bereits ein philharmonisches Orchester entstanden sein. Elfenbein für Taktstöcke haben sie selbst.
Mocambique: hab' nachgesehen, schwärzere Menschen gibt's nicht auf der Welt. Mit Tellern in der Lippe und Messingringen um den Hals. Was machen sie mit den Flöhen, die daruntergeraten? Wenn ein Finne mit seiner bunten Zipfelmütze so ein Kind des Urwalds heiratet, das muß lustig sein. Da kommen sie beim Tanzen sicher durcheinander.
Die Finnen schliffen sich Dolche, mit denen sie nächtens Russen die Gurgel durchschnitten. Sie reden finnisch-ugrisch. Gibt es Ugrier? Ungarn sind damit gemeint. Ob die einander verstehen? Wohl nur beim Saufen. - Früher waren die Finnen mal sehr deutschfreundlich. Mannerheim trug sogar das Ritterkreuz.
Der Winterkrieg gegen die Russen. Daß die Russen ihn verloren, hat Hitler ermutigt, 1941 gegen die Sowjets loszuschlagen. Diese altertümlichen Tanks. Aber die Russen haben auch gelernt aus der blamablen Niederlage. Später haben die Finnen uns dann "verraten", wofür wir ihnen die Dörfer niedergebrannt haben.
Gestern nachmittag kam Hochhuth, ein Hamburger Buchhändler, der bei der Wieser-Affäre trotzig seine Schaufenster voll Kempowskis gestellt hatte. Er wollte mir jetzt ein häßliches Gemälde mit einer Weintraube drauf verkaufen, irgendwie ein Samariter-Akt zugunsten eines Jungfilmers namens Karol Schneeweiß, den er mitbrachte, blond wie sein Name. Wir aßen Fondue und redeten bis weit nach Mitternacht über seine Filmversion der "Hundstage". Sahen auch seinen Film (Rohschnitt) über Burkhard Driest, mit dem ich zweierlei gemeinsam habe: Erstens, er hat gesessen, und zweitens, er ist aus Göttingen. Die Frauen stehen auf ihn, wegen seiner Akne, von welcher ich keine Spuren aufweise. Soll ich "leider" sagen?
Heute früh ließ ich's ruhig angehen. Schrieb etwas und nachmittags langer Spaziergang mit Hildegard, dann wieder geschrieben und Klavier. Die Schumannsche "Träumerei" soll man jetzt rasend schnell spielen, mit einem Affenzahn. Ich spielte sie weder langsam noch schnell, ich spielte sie gar nicht. "Glückes genug" neulich im Radio, so schnell, daß ich's nicht erkannte. Ich dachte: Was spielen die denn da? Und dabei hat meine Mutter es früher doch jeden Tag vom Stapel gelassen und immer mit so viel Gefühl.
Gegen Abend kam Tanja. Gespräch über bessere "Vermarktung" meiner Bücher. Will sie's in die Hand nehmen? Dann zwei Seminarteilnehmer, vorzeitig. Sie beteiligten sich an dem Gespräch über Vermarktung, obwohl Diplomingenieur und Volksschullehrerin. Müde, abgespannt.
Ach, wieviel Leute wollten mich schon vermarkten!
Das vorige Jahr begann mit der "Stern"-Affäre, die mich zwar sehr mitnahm, die letzten Endes aber gut ausging. Wer hat ein Interesse daran, mich in die Pfanne zu hauen? Eine Frau aus ROSTOCK soll es gewesen sein! Und ich kenne sie! Ging ein und aus bei uns. "Es ist mir so rausgerutscht", sagte sie. So was kann in anderen Fällen viel schlimmere Folgen haben. Danach dann gleich mein erster Besuch in Rostock mit Robert und Lesung in der dortigen Kunsthalle. Die gehässige Gastgeberin sei nicht vergessen.
Dann hatte ich die Koliken, die zu einem Umbau meines oberen Zimmers führten, und nun geht es mir besser. Die giftverseuchten Wandplatten wurden rausgeschmissen. Das ganze Jahr '90 dann kaum noch Leibschneiden. Dann wurde mit Duyns der Bautzen-Film gedreht und von den Kölner Damen der Film über Rostock.
Sommertage in Graal. Menschenleerer Strand, kleine schwappende Wellen. Erinnerungen an den Sommer 1937, als ich dort mit meiner Mutter allein drei Wochen verbrachte. (Robert: "Das muß für dich sehr schön gewesen sein.") Sie sollte sich von einer Operation erholen. Erinnerungen an ein "kleines Helles", das sie sich bestellte. Und einem Herrn am Nachbartisch küßte ich im verwirrten Zustand seine Glatze. Daß er kinderlos war, konnte ich nicht ahnen.
Weimar zweimal, Greiz und Vortragstour im Allgäu mit Denk. "Sirius" und das beschissene Rostock-Buch zur TV-Sendung. Nochmals Rostock (Universität, Doberan-Lesung im Haus von dem Kollegen Ehm Welk). Ich saß an seinem Schreibtisch. In seinen Schränken viel Unveröffentlichtes. Nach der Lesung wurde ich von zwei ehemaligen Internierten angesprochen, die meinten, weil ich in Bautzen gesessen habe, sei ich einer der Ihren. Ehm Welk jedenfalls war Mitglied der KPD. Der hatte sich, weil er dachte, daß er schlau sei, vor dem Krieg ein Stück Land in der Uckermark gekauft. Hat ihm nichts genützt! Er wurde ratzeputz enteignet. Aber sein schönes Haus jetzt? Wenn auch die Kleinbahn alle Viertelstunde vorbeirasselt. Eine ganz hübsche Existenz.
Aufträge für "Hörzu" und Hagen. Gegenströmungen ausgehalten. Viel Widerwärtiges in diesem Zusammenhang. Neuordnung der Archive, Scheidung in Grün und Blau und Gelb.
2007: Hat sich als sehr praktisch erwiesen. Gelb = Fotoarchiv, Grün = meine Manuskripte und Blau = die Einsendungen, das "Fremdarchiv". Ohne diese Einteilung hätte ich schon sehr bald die Übersicht verloren. Sie wurde auch vom Archiv der Akademie in Berlin übernommen.
Feste Anstellung von Simone.
Beginn mit "Alkor" und Vorantreiben des "Echolot".
Finanzielle Befreiung durch Verlag.
Details
Erscheinungsjahr: | 2009 |
---|---|
Genre: | Romane & Erzählungen |
Rubrik: | Belletristik |
Medium: | Taschenbuch |
Inhalt: |
560 S.
30 s/w Illustr. 31 s/w Abbildungen + 1 s/w Foto |
ISBN-13: | 9783442740130 |
ISBN-10: | 3442740134 |
Sprache: | Deutsch |
Einband: | Kartoniert / Broschiert |
Autor: | Kempowski, Walter |
btb verlag: | btb Verlag |
penguin random house verlagsgruppe gmbh: | Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH |
Maße: | 187 x 120 x 36 mm |
Von/Mit: | Walter Kempowski |
Erscheinungsdatum: | 05.10.2009 |
Gewicht: | 0,448 kg |
Details
Erscheinungsjahr: | 2009 |
---|---|
Genre: | Romane & Erzählungen |
Rubrik: | Belletristik |
Medium: | Taschenbuch |
Inhalt: |
560 S.
30 s/w Illustr. 31 s/w Abbildungen + 1 s/w Foto |
ISBN-13: | 9783442740130 |
ISBN-10: | 3442740134 |
Sprache: | Deutsch |
Einband: | Kartoniert / Broschiert |
Autor: | Kempowski, Walter |
btb verlag: | btb Verlag |
penguin random house verlagsgruppe gmbh: | Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH |
Maße: | 187 x 120 x 36 mm |
Von/Mit: | Walter Kempowski |
Erscheinungsdatum: | 05.10.2009 |
Gewicht: | 0,448 kg |
Warnhinweis