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Rechter und linker Populismus
Annäherung an ein Chamäleon
Taschenbuch von Karin Priester
Sprache: Deutsch

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Beschreibung
I. Die Aktualität des Populismus

Die Moderne lebt von der Distanzierung sozialer Praktiken von konkreten Orten und spezifischen Zeitpunkten (der time-space-distantiation). Für den britischen Soziologen Anthony Giddens sind Kapitalismus, Industrialismus und Nationalstaat Ausprägungen dieser Distanzierung von Zeit und Raum und führen zur Entbettung (disembedding) von sozialer Erfahrung. Populismus ist eine von mehreren Formen der Opposition gegen diesen Prozess der Entgrenzung und sozialen Entbettung. Aber, und das ist seine Besonderheit, er reagiert darauf nicht reflexiv, sondern traditionalistisch. Mit der für ihn charakteristischen Intellektuellen- und Theoriefeindlichkeit verweigert er sich einem reflexiven Umgang mit der Moderne. Stattdessen propagiert er eine unreflektierte, auf einem immer schon vorhandenen Erfahrungswissen des Volkes, dem common sense, beruhende Wiedereinbettung des Sozialen in eine überindividuelle Gemeinschaft.

Populismus wurde in den Sozialwissenschaften lange als ein Phänomen verstanden, das in Ländern der Dritten Welt im Übergang von traditionalen zu modernen Gesellschaften entstehe und daher in Europa kaum Chancen habe. Heute stehen wir vor dem Problem, dass die funktionalen Äquivalente des Populismus in Europa starke sozial- oder christdemokratische Volksparteien mit ihrer Fähigkeit zu klassen- und schichtübergreifenden Bündnissen diese Integrationsleistung immer weniger erbringen und sich an ihren Rändern diffuser Protest, anti-institutionelle Affekte und vielfältige Ressentiments ausbreiten.

Populistische Tendenzen entstehen in ökonomischen und sozialen Umbruchphasen, die politische Desillusionierung und den Verlust des Vertrauens in die Handlungskompetenz der Eliten hervorrufen. Sie bergen die Gefahr in sich, dass die im 20. Jahrhundert erreichte Synthese des liberalen und des demokratischen Gedankens erneut auseinanderbricht und in ihre Bestandteile zerfällt, in die des liberalen Rechtsstaates und die der Volkssouveränität. Nach 1945 kam es vor allem den großen Volksparteien zu, diese Synthese zu festigen. Sie wird heute durch vielfältige Krisenerscheinungen brüchig, von denen sich Populisten vor allem eine zunutze machen: Die alternativlos erscheinende Verwaltung von »Sachzwängen«, die zugleich als Abkapselung eines in sich rotierenden »Elitenkartells« wahrgenommen wird.

1. Populismus als bipolarer Code

Schon am Beispiel des US-amerikanischen Agrarpopulismus des ausgehenden 19. Jahrhunderts lassen sich die charakteristischen Merkmale von Populismus aufzeigen. Er verfügte über keine konsistente Gesellschaftstheorie und vertrat, wie alle Populismen nach ihm, nur eine dünne Ideologie. Der Begriff der dünnen Ideologie (thin-centered ideology) geht auf den britischen Politiktheoretiker Michael Freeden zurück. Er untersucht die Morphologie von Ideologien und vertritt die These, dass es neben den Hochideologien des Liberalismus und des Sozialismus Bewegungen gibt, die keine umfassende, von Klassikern des politischen Denkens untermauerte Ideologie vertreten. Als Beispiele nennt Freeden die Frauen- und die Ökologiebewegung oder den Nationalismus, die ein partikulares Anliegen vertreten und sich in vielen anderen Aspekten einer Wirtsideologie (host-ideology) zur Seite stellen (vgl. Freeden 1998a: 488-592 und 1998b: 750f.). Zu diesen Bewegungen mit einer dünnen Ideologie kann auch der Populismus gerechnet werden. Auch er ist aus sich heraus nicht hegemoniefähig, sondern tendiert durch mimetische Anpassung an seine Umwelt zu politischem Farbwechsel. Dennoch gibt es ein Merkmal, das ihn von anderen Tendenzen und Strömungen unterscheidet: seine diskursive Praxis der Polarisierung zwischen Volk und Eliten, den Kleinen und den Großen, zwischen unten und oben.

Die Spaltung der Gesellschaft verläuft für Populisten nicht zwischen Klassen oder Schichten, sondern zwischen einer Volk genannten Mehrheit und einer »Elite, Oligarchie oder Plutokratie« genannten Minderheit. Zum Volk

I. Die Aktualität des Populismus

Die Moderne lebt von der Distanzierung sozialer Praktiken von konkreten Orten und spezifischen Zeitpunkten (der time-space-distantiation). Für den britischen Soziologen Anthony Giddens sind Kapitalismus, Industrialismus und Nationalstaat Ausprägungen dieser Distanzierung von Zeit und Raum und führen zur Entbettung (disembedding) von sozialer Erfahrung. Populismus ist eine von mehreren Formen der Opposition gegen diesen Prozess der Entgrenzung und sozialen Entbettung. Aber, und das ist seine Besonderheit, er reagiert darauf nicht reflexiv, sondern traditionalistisch. Mit der für ihn charakteristischen Intellektuellen- und Theoriefeindlichkeit verweigert er sich einem reflexiven Umgang mit der Moderne. Stattdessen propagiert er eine unreflektierte, auf einem immer schon vorhandenen Erfahrungswissen des Volkes, dem common sense, beruhende Wiedereinbettung des Sozialen in eine überindividuelle Gemeinschaft.

Populismus wurde in den Sozialwissenschaften lange als ein Phänomen verstanden, das in Ländern der Dritten Welt im Übergang von traditionalen zu modernen Gesellschaften entstehe und daher in Europa kaum Chancen habe. Heute stehen wir vor dem Problem, dass die funktionalen Äquivalente des Populismus in Europa starke sozial- oder christdemokratische Volksparteien mit ihrer Fähigkeit zu klassen- und schichtübergreifenden Bündnissen diese Integrationsleistung immer weniger erbringen und sich an ihren Rändern diffuser Protest, anti-institutionelle Affekte und vielfältige Ressentiments ausbreiten.

Populistische Tendenzen entstehen in ökonomischen und sozialen Umbruchphasen, die politische Desillusionierung und den Verlust des Vertrauens in die Handlungskompetenz der Eliten hervorrufen. Sie bergen die Gefahr in sich, dass die im 20. Jahrhundert erreichte Synthese des liberalen und des demokratischen Gedankens erneut auseinanderbricht und in ihre Bestandteile zerfällt, in die des liberalen Rechtsstaates und die der Volkssouveränität. Nach 1945 kam es vor allem den großen Volksparteien zu, diese Synthese zu festigen. Sie wird heute durch vielfältige Krisenerscheinungen brüchig, von denen sich Populisten vor allem eine zunutze machen: Die alternativlos erscheinende Verwaltung von »Sachzwängen«, die zugleich als Abkapselung eines in sich rotierenden »Elitenkartells« wahrgenommen wird.

1. Populismus als bipolarer Code

Schon am Beispiel des US-amerikanischen Agrarpopulismus des ausgehenden 19. Jahrhunderts lassen sich die charakteristischen Merkmale von Populismus aufzeigen. Er verfügte über keine konsistente Gesellschaftstheorie und vertrat, wie alle Populismen nach ihm, nur eine dünne Ideologie. Der Begriff der dünnen Ideologie (thin-centered ideology) geht auf den britischen Politiktheoretiker Michael Freeden zurück. Er untersucht die Morphologie von Ideologien und vertritt die These, dass es neben den Hochideologien des Liberalismus und des Sozialismus Bewegungen gibt, die keine umfassende, von Klassikern des politischen Denkens untermauerte Ideologie vertreten. Als Beispiele nennt Freeden die Frauen- und die Ökologiebewegung oder den Nationalismus, die ein partikulares Anliegen vertreten und sich in vielen anderen Aspekten einer Wirtsideologie (host-ideology) zur Seite stellen (vgl. Freeden 1998a: 488-592 und 1998b: 750f.). Zu diesen Bewegungen mit einer dünnen Ideologie kann auch der Populismus gerechnet werden. Auch er ist aus sich heraus nicht hegemoniefähig, sondern tendiert durch mimetische Anpassung an seine Umwelt zu politischem Farbwechsel. Dennoch gibt es ein Merkmal, das ihn von anderen Tendenzen und Strömungen unterscheidet: seine diskursive Praxis der Polarisierung zwischen Volk und Eliten, den Kleinen und den Großen, zwischen unten und oben.

Die Spaltung der Gesellschaft verläuft für Populisten nicht zwischen Klassen oder Schichten, sondern zwischen einer Volk genannten Mehrheit und einer »Elite, Oligarchie oder Plutokratie« genannten Minderheit. Zum Volk

Details
Erscheinungsjahr: 2012
Medium: Taschenbuch
Seiten: 252
Inhalt: 252 S.
ISBN-13: 9783593397931
ISBN-10: 3593397935
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Autor: Priester, Karin
Auflage: 1/2012
campus verlag: Campus Verlag
Maße: 214 x 142 x 15 mm
Von/Mit: Karin Priester
Erscheinungsdatum: 16.08.2012
Gewicht: 0,32 kg
preigu-id: 106475845
Details
Erscheinungsjahr: 2012
Medium: Taschenbuch
Seiten: 252
Inhalt: 252 S.
ISBN-13: 9783593397931
ISBN-10: 3593397935
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Autor: Priester, Karin
Auflage: 1/2012
campus verlag: Campus Verlag
Maße: 214 x 142 x 15 mm
Von/Mit: Karin Priester
Erscheinungsdatum: 16.08.2012
Gewicht: 0,32 kg
preigu-id: 106475845
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