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Imperiale Grenzräume
Bevölkerungspolitiken in Deutsch-Südwestafrika und den östlichen Provinzen Preußens 1884-1914
Taschenbuch von Dörte Lerp
Sprache: Deutsch

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Beschreibung
1. Einleitung
"Rather than poising an antagonism between Germany's continental and overseas expansionism, we should see them as two complementary, interrelated, and often ambivalent developments in the history of German expansionism".
Wer um 1900 vom "deutschen Reich" sprach, konnte damit auf sehr unterschiedliche Dinge verweisen: auf den 1871 gegründeten Nationalstaat, der sich in mit dieser Namensgebung in die Tradition des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation zu stellen suchte, auf eine Ansammlung von Kolonien in Afrika und im Pazifik, die unter deutscher Herrschaft standen oder gar auf jene "Phantasmagorie eines diffusen kontinentalen Großreichs" in Mittel- und Osteuropa, die im Verlauf der nächsten Jahrzehnte die deutsche Politik entscheidend prägen sollte. Angesichts dieser vielschichtigen Semantik ist es geradezu erstaunlich, dass sich die Geschichtsschreibung lange Zeit darauf konzentriert hat, die deutsche Geschichte des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts als Geschichte eines Nationalstaats und eben nicht als die eines Reiches oder Empires zu schreiben. Warum wurden Nationalisierung und Staatsbildung, überseeische Kolonisation und der "deutsche Drang nach Osten" nicht in einen gemeinsamen imperialen Zusammenhang gestellt, wenn doch der Sprachgebrauch der Zeit eine solche Verbindung nahelegt?
Eine Erklärung mag sein, dass das deutsche Kaiserreich auf den ersten Blick wenig Ähnlichkeit mit überseeischen Großreichen wie Großbritannien, Frankreich und den Niederlanden oder kontinentalen Imperien wie der Habsburger Monarchie, dem Osmanischen Reich und dem zaristischen Russland aufwies. Zwar verfügte es ab den 1880er Jahren über Kolonien in Afrika und dem Pazifik, doch existierte dieses Kolonialreich nur gut dreißig Jahre, weshalb die deutsche Kolonialgeschichte für viele Historikerinnen und Historiker bis heute eine eher unbedeutende historische Episode darstellt. Die Geschichte der kontinentalen Expansion Preußens und Deutschlands - von den polnischen Teilungen im 18. Jahrhundert, über die Annexionen Schleswig-Holsteins und Elsass-Lothringens im Zuge der Einigungskriege 1866 und 1870/71 bis hin zur Eroberung weiter Teile Osteuropas im Ersten Weltkrieg - umfasst zwar einen deutlich längeren Zeitraum, doch macht auch sie im Vergleich zu den imperialen Traditionslinien der Nachbarländer Österreich-Ungarn und Russland einen eher fragmentarischen Eindruck. Die territoriale Expansion innerhalb Europas steht zwar in einem gewissen Spannungsverhältnis zu nationalgeschichtlichen Narrativen, doch ist sie so eng mit der der Geschichte preußisch-deutscher Staatsbildung verwoben, dass sie sich scheinbar relativ problemlos in diese integrieren lässt. So erscheinen die östlichen Provinzen Preußens, Elsass-Lothringen und Schleswig-Holstein in den einschlägigen Werken zur deutschen Geschichte nicht als imperiale Expansionsräume, sondern allenfalls als "Krisenherde des Kaiserreichs". Angesichts dieser Einschätzung ist nur folgerichtig, dass die Historiographie auch die seit den 1890er Jahren lauter werdenden Forderungen nach "Lebensraum im Osten" oder einem von Deutschland dominierten "Mitteleuropa" in erster Linie als Auswüchse eines übersteigerten Nationalismus interpretiert.
Diese Fokussierung auf die deutsche Nationalgeschichte wird inzwischen seit einigen Jahrzehnten von einer Reihe unterschiedlicher Forschungsrichtungen in Frage gestellt. Zu nennen sind hier vor allem die primär auf innereuropäische Verbindungen konzentrierte Vergleichs-, Verflechtungs- beziehungsweise Transfergeschichte oder auch Histoire croisée, die von den Postcolonial Studies inspirierte Kolonialgeschichte und die neue Globalgeschichte. Sie alle vereint eine fundamentale Kritik am Zentrismus der Nationalgeschichte, die "[d]ie Ränder, Grenzen und Grenzräume, die Peripherie des Gegenstandes - die Nation - mit ihren nationalen beziehungsweise ethnischen Minderheiten, mit ihren oft komplexen lokalen Machtverhältnisse
1. Einleitung
"Rather than poising an antagonism between Germany's continental and overseas expansionism, we should see them as two complementary, interrelated, and often ambivalent developments in the history of German expansionism".
Wer um 1900 vom "deutschen Reich" sprach, konnte damit auf sehr unterschiedliche Dinge verweisen: auf den 1871 gegründeten Nationalstaat, der sich in mit dieser Namensgebung in die Tradition des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation zu stellen suchte, auf eine Ansammlung von Kolonien in Afrika und im Pazifik, die unter deutscher Herrschaft standen oder gar auf jene "Phantasmagorie eines diffusen kontinentalen Großreichs" in Mittel- und Osteuropa, die im Verlauf der nächsten Jahrzehnte die deutsche Politik entscheidend prägen sollte. Angesichts dieser vielschichtigen Semantik ist es geradezu erstaunlich, dass sich die Geschichtsschreibung lange Zeit darauf konzentriert hat, die deutsche Geschichte des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts als Geschichte eines Nationalstaats und eben nicht als die eines Reiches oder Empires zu schreiben. Warum wurden Nationalisierung und Staatsbildung, überseeische Kolonisation und der "deutsche Drang nach Osten" nicht in einen gemeinsamen imperialen Zusammenhang gestellt, wenn doch der Sprachgebrauch der Zeit eine solche Verbindung nahelegt?
Eine Erklärung mag sein, dass das deutsche Kaiserreich auf den ersten Blick wenig Ähnlichkeit mit überseeischen Großreichen wie Großbritannien, Frankreich und den Niederlanden oder kontinentalen Imperien wie der Habsburger Monarchie, dem Osmanischen Reich und dem zaristischen Russland aufwies. Zwar verfügte es ab den 1880er Jahren über Kolonien in Afrika und dem Pazifik, doch existierte dieses Kolonialreich nur gut dreißig Jahre, weshalb die deutsche Kolonialgeschichte für viele Historikerinnen und Historiker bis heute eine eher unbedeutende historische Episode darstellt. Die Geschichte der kontinentalen Expansion Preußens und Deutschlands - von den polnischen Teilungen im 18. Jahrhundert, über die Annexionen Schleswig-Holsteins und Elsass-Lothringens im Zuge der Einigungskriege 1866 und 1870/71 bis hin zur Eroberung weiter Teile Osteuropas im Ersten Weltkrieg - umfasst zwar einen deutlich längeren Zeitraum, doch macht auch sie im Vergleich zu den imperialen Traditionslinien der Nachbarländer Österreich-Ungarn und Russland einen eher fragmentarischen Eindruck. Die territoriale Expansion innerhalb Europas steht zwar in einem gewissen Spannungsverhältnis zu nationalgeschichtlichen Narrativen, doch ist sie so eng mit der der Geschichte preußisch-deutscher Staatsbildung verwoben, dass sie sich scheinbar relativ problemlos in diese integrieren lässt. So erscheinen die östlichen Provinzen Preußens, Elsass-Lothringen und Schleswig-Holstein in den einschlägigen Werken zur deutschen Geschichte nicht als imperiale Expansionsräume, sondern allenfalls als "Krisenherde des Kaiserreichs". Angesichts dieser Einschätzung ist nur folgerichtig, dass die Historiographie auch die seit den 1890er Jahren lauter werdenden Forderungen nach "Lebensraum im Osten" oder einem von Deutschland dominierten "Mitteleuropa" in erster Linie als Auswüchse eines übersteigerten Nationalismus interpretiert.
Diese Fokussierung auf die deutsche Nationalgeschichte wird inzwischen seit einigen Jahrzehnten von einer Reihe unterschiedlicher Forschungsrichtungen in Frage gestellt. Zu nennen sind hier vor allem die primär auf innereuropäische Verbindungen konzentrierte Vergleichs-, Verflechtungs- beziehungsweise Transfergeschichte oder auch Histoire croisée, die von den Postcolonial Studies inspirierte Kolonialgeschichte und die neue Globalgeschichte. Sie alle vereint eine fundamentale Kritik am Zentrismus der Nationalgeschichte, die "[d]ie Ränder, Grenzen und Grenzräume, die Peripherie des Gegenstandes - die Nation - mit ihren nationalen beziehungsweise ethnischen Minderheiten, mit ihren oft komplexen lokalen Machtverhältnisse
Details
Erscheinungsjahr: 2016
Genre: Geisteswissenschaften, Kunst, Musik
Medium: Taschenbuch
Inhalt: 385 S.
ISBN-13: 9783593503103
ISBN-10: 3593503107
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Autor: Lerp, Dörte
Auflage: 1/2016
campus verlag: Campus Verlag
Maße: 214 x 143 x 23 mm
Von/Mit: Dörte Lerp
Erscheinungsdatum: 15.11.2016
Gewicht: 0,492 kg
Artikel-ID: 112033778
Details
Erscheinungsjahr: 2016
Genre: Geisteswissenschaften, Kunst, Musik
Medium: Taschenbuch
Inhalt: 385 S.
ISBN-13: 9783593503103
ISBN-10: 3593503107
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Autor: Lerp, Dörte
Auflage: 1/2016
campus verlag: Campus Verlag
Maße: 214 x 143 x 23 mm
Von/Mit: Dörte Lerp
Erscheinungsdatum: 15.11.2016
Gewicht: 0,492 kg
Artikel-ID: 112033778
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