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Einfache Rezepte
Erzählungen
Taschenbuch von Madeleine Thien
Sprache: Deutsch

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Beschreibung
ES GIBT EIN EINFACHES REZEPT für die Zubereitung von Reis. Mein Vater hat es mir gezeigt, als ich ein Kind war. Damals pflegte ich auf der Küchentheke zu sitzen und zu beobachten, wie er die Körner schnell und sicher in seinen Händen siebte und dabei Schmutzteilchen oder Sand, winzige Unvollkommenheiten entfernte. Er ließ seine Hände durchs Wasser wirbeln, und es wurde trüb. Das Geräusch, das er beim Säubern der Körner erzeugte, war so laut wie ein Feld voller Insekten. Immer wieder spülte mein Vater den Reis, goss das Wasser ab und füllte dann erneut den Topf.
Die weiteren Instruktionen sind simpel. Sobald das Wäschen erledigt ist, füllt man den Topf mit so viel Wasser auf, dass es einem bis zum ersten Knöchel des Zeigefingers reicht, wenn man mit der Spitze den Reis berührt. Mein Vater brauchte keine genauen Angaben oder Messbecher. Er schloss einfach die Augen und ertastete die Wässerlinie.
Manchmal träume ich immer noch, dass mein Vater, die nackten Füße flach auf dem Boden, mitten in der Küche steht. Er trägt ein altes Oberhemd und verblichene Sweatpants mit Gummizug in der Taille. Umgeben von glänzenden Oberflächen und den spitzen Ecken von Herd und Kühlschrank, wirkt er fehl am Platz. Die Erinnerung an ihn ist so deutlich, dass es mich bisweilen verblüfft, wie detailliert ich ihn vor mir sehe.
Jeden Abend vor dem Essen vollzog mein Vater dieses Ritual - waschen und abgießen, den Topf dann in den Kocher stellen. Als ich älter war, übertrug er mir diese Aufgabe, aber ich erledigte sie nie mit der gleichen Sorgfalt. Ich tat nur so, als ob, indem ich mit dem Wasser herumspritzte und mit dem Finger ungefähr den Wasserstand abmaß. An manchen Abenden war der Reis ein schleimiger Matsch. Ich war beunruhigt darüber, dass ich eine so simple Aufgabe nicht bewältigte.
"Tut mir leid", erklärte ich am Tisch mit leiser und verlegener Stimme.
Als Antwort aß mein Vater einfach weiter, schob sich den Reis in den Mund, als hätte er überhaupt nichts anderes erwartet, als bemerkte er keinen Unterschied zwischen dem, was er so gut und ich so schlecht konnte. Rasch wanderten seine Stäbchen über den Teller, und er aß bis zum letzten Bissen alles auf. Dann erhob er sich pfeifend und räumte den Tisch ab, und mit jeder seiner abgezirkelten und sicheren Bewegungen überzeugte er mich davon, dass es gut bestellt war um die Welt.
Mein Vater steht mitten in der Küche. In der rechten Hand hält er eine mit Wasser gefüllte Plastiktüte. In der Tüte gefangen ist ein lebendiger Fisch.
Der Fisch atmet kaum, obwohl sein Maul auf- und zuklappt. Ich lange hoch und berühre ihn durch die Plastiktüte hindurch, streiche mit den Fingern über die Kiemen, den weichen, muskulösen Körper, schiebe meinen Finger über seinen Augapfel. Der Fisch schaut mich unentwegt an und schaukelt träge hin und her.
Mein Vater lässt die Küchenspüle volllaufen. Mit einer raschen Bewegung dreht er die Tüte um, und der Fisch schwappt zusammen mit dem Wässer heraus. Er krümmt sich und hüpft. Wir beobachten ihn aufmerksam, ich auf den Zehenspitzen, das Kinn auf die Theke gestützt. Der Fisch ist so lang wie mein Arm vom Handgelenk bis zum Ellbogen. Die Wände des Beckens streifend, treibt er dahin.
Ich halte Wache über den Fisch, während mein Vater mit den Vorbereitungen fürs Abendessen beginnt. Der Fisch biegt seinen Körper, versucht zu wenden oder zu tauchen, so dass Wasser über den Rand der Spüle fließt. Obwohl ich mit meinen Fingern winzige Kreise um ihn ziehe, beachtet mich der Fisch nicht, schnellt im kalten Wässer von einer Seite zur anderen.
Viele Stunden hintereinander waren wir nur zu zweit. Während meine Mutter arbeitete und mein älterer Bruder draußen spielte, saßen mein Vater und ich auf der Couch und zappten uns durch die Sender. Er liebte Kochshows. Wir sahen Wok mit Tan, wobei mein Vater ständig Urteile über Yans Methoden abgab. Ich war begeistert, als Yan Orangenschalen in Schwäne verwandelte. Mein Vater rümpfte die Nase. "Das kann ich auch", sagte er. "Dazu muss man kein Genie sein." Er legte eine Frühlingszwiebel ins Wasser, um mir zu demonstrieren, dass sie dann wie eine Blume aufblühte. "Ich kenne viele solche Tricks", sagte er. "Viel mehr als Yan."
Dennoch machte mein Vater sich sorgfältig Notizen, als Yan die Zubereitung von Pekingente vorführte. Über Yans Wortspiele lachte er herzlich. "Take a wok on the wild side!", intonierte Yan und deutete mit seiner Schöpfkelle auf die Kamera.
"Ha ha!", lachte mein Vater, bis seine Schultern bebten. "Wok on the wild side!"
Morgens brachte mein Vater mich zur Schule. Und um drei Uhr nachmittags, wenn wir beide auf dem Heimweg waren, ratterte ich alles herunter, was ich an dem Tag gelernt hatte. "Der Brachiosaurus", informierte ich ihn, "isst nur weiches Gemüse."
Mein Vater nickte. "Genau wie ich. Zeig mir mal deine Stirn." Wir blieben stehen und begutachteten uns mitten auf der Straße gegenseitig. "Du hast eine hohe Stirn", sagte er und beugte sich vor, um besser sehen zu können. "Alle intelligenten Menschen haben die."
Ich stolzierte einher und streckte die Beine, um mich seinen Schritten anzupassen. Ich war hocherfreut, wenn meine Füße mit seinen mithalten konnten, rechts, dann links, dann wieder rechts, und wir marschierten wie eine Kompanie. Mein Vater war ein Meister der Kunststückchen; er konnte eine Stunde lang dasitzen und mit einem runden Löffel Tunnel in eine Wassermelone bohren, er konnte aus der Schale ein Schloss schnitzen.
Mein Vater war in Malaysia zur Welt gekommen, und er und meine Mutter emigrierten etliche Jahre vor meiner Geburt nach Kanada, wo sie sich zuerst in Montreal und schließlich in Vancouver niederließen. Während ich in die Beharrlichkeit des Regens von Vancouver hineingeboren wurde, stammte mein Vater aus einem Monsunland. Als ich klein war, versuchten meine Eltern, mir ihre Sprache beizubringen, doch sie ging mir nie leicht von der Zunge. Mein Vater fuhr mir mit dem Daumen sanft über den Mund, als wollte er begreifen, was mir solche Schwierigkeiten bereitete.
ES GIBT EIN EINFACHES REZEPT für die Zubereitung von Reis. Mein Vater hat es mir gezeigt, als ich ein Kind war. Damals pflegte ich auf der Küchentheke zu sitzen und zu beobachten, wie er die Körner schnell und sicher in seinen Händen siebte und dabei Schmutzteilchen oder Sand, winzige Unvollkommenheiten entfernte. Er ließ seine Hände durchs Wasser wirbeln, und es wurde trüb. Das Geräusch, das er beim Säubern der Körner erzeugte, war so laut wie ein Feld voller Insekten. Immer wieder spülte mein Vater den Reis, goss das Wasser ab und füllte dann erneut den Topf.
Die weiteren Instruktionen sind simpel. Sobald das Wäschen erledigt ist, füllt man den Topf mit so viel Wasser auf, dass es einem bis zum ersten Knöchel des Zeigefingers reicht, wenn man mit der Spitze den Reis berührt. Mein Vater brauchte keine genauen Angaben oder Messbecher. Er schloss einfach die Augen und ertastete die Wässerlinie.
Manchmal träume ich immer noch, dass mein Vater, die nackten Füße flach auf dem Boden, mitten in der Küche steht. Er trägt ein altes Oberhemd und verblichene Sweatpants mit Gummizug in der Taille. Umgeben von glänzenden Oberflächen und den spitzen Ecken von Herd und Kühlschrank, wirkt er fehl am Platz. Die Erinnerung an ihn ist so deutlich, dass es mich bisweilen verblüfft, wie detailliert ich ihn vor mir sehe.
Jeden Abend vor dem Essen vollzog mein Vater dieses Ritual - waschen und abgießen, den Topf dann in den Kocher stellen. Als ich älter war, übertrug er mir diese Aufgabe, aber ich erledigte sie nie mit der gleichen Sorgfalt. Ich tat nur so, als ob, indem ich mit dem Wasser herumspritzte und mit dem Finger ungefähr den Wasserstand abmaß. An manchen Abenden war der Reis ein schleimiger Matsch. Ich war beunruhigt darüber, dass ich eine so simple Aufgabe nicht bewältigte.
"Tut mir leid", erklärte ich am Tisch mit leiser und verlegener Stimme.
Als Antwort aß mein Vater einfach weiter, schob sich den Reis in den Mund, als hätte er überhaupt nichts anderes erwartet, als bemerkte er keinen Unterschied zwischen dem, was er so gut und ich so schlecht konnte. Rasch wanderten seine Stäbchen über den Teller, und er aß bis zum letzten Bissen alles auf. Dann erhob er sich pfeifend und räumte den Tisch ab, und mit jeder seiner abgezirkelten und sicheren Bewegungen überzeugte er mich davon, dass es gut bestellt war um die Welt.
Mein Vater steht mitten in der Küche. In der rechten Hand hält er eine mit Wasser gefüllte Plastiktüte. In der Tüte gefangen ist ein lebendiger Fisch.
Der Fisch atmet kaum, obwohl sein Maul auf- und zuklappt. Ich lange hoch und berühre ihn durch die Plastiktüte hindurch, streiche mit den Fingern über die Kiemen, den weichen, muskulösen Körper, schiebe meinen Finger über seinen Augapfel. Der Fisch schaut mich unentwegt an und schaukelt träge hin und her.
Mein Vater lässt die Küchenspüle volllaufen. Mit einer raschen Bewegung dreht er die Tüte um, und der Fisch schwappt zusammen mit dem Wässer heraus. Er krümmt sich und hüpft. Wir beobachten ihn aufmerksam, ich auf den Zehenspitzen, das Kinn auf die Theke gestützt. Der Fisch ist so lang wie mein Arm vom Handgelenk bis zum Ellbogen. Die Wände des Beckens streifend, treibt er dahin.
Ich halte Wache über den Fisch, während mein Vater mit den Vorbereitungen fürs Abendessen beginnt. Der Fisch biegt seinen Körper, versucht zu wenden oder zu tauchen, so dass Wasser über den Rand der Spüle fließt. Obwohl ich mit meinen Fingern winzige Kreise um ihn ziehe, beachtet mich der Fisch nicht, schnellt im kalten Wässer von einer Seite zur anderen.
Viele Stunden hintereinander waren wir nur zu zweit. Während meine Mutter arbeitete und mein älterer Bruder draußen spielte, saßen mein Vater und ich auf der Couch und zappten uns durch die Sender. Er liebte Kochshows. Wir sahen Wok mit Tan, wobei mein Vater ständig Urteile über Yans Methoden abgab. Ich war begeistert, als Yan Orangenschalen in Schwäne verwandelte. Mein Vater rümpfte die Nase. "Das kann ich auch", sagte er. "Dazu muss man kein Genie sein." Er legte eine Frühlingszwiebel ins Wasser, um mir zu demonstrieren, dass sie dann wie eine Blume aufblühte. "Ich kenne viele solche Tricks", sagte er. "Viel mehr als Yan."
Dennoch machte mein Vater sich sorgfältig Notizen, als Yan die Zubereitung von Pekingente vorführte. Über Yans Wortspiele lachte er herzlich. "Take a wok on the wild side!", intonierte Yan und deutete mit seiner Schöpfkelle auf die Kamera.
"Ha ha!", lachte mein Vater, bis seine Schultern bebten. "Wok on the wild side!"
Morgens brachte mein Vater mich zur Schule. Und um drei Uhr nachmittags, wenn wir beide auf dem Heimweg waren, ratterte ich alles herunter, was ich an dem Tag gelernt hatte. "Der Brachiosaurus", informierte ich ihn, "isst nur weiches Gemüse."
Mein Vater nickte. "Genau wie ich. Zeig mir mal deine Stirn." Wir blieben stehen und begutachteten uns mitten auf der Straße gegenseitig. "Du hast eine hohe Stirn", sagte er und beugte sich vor, um besser sehen zu können. "Alle intelligenten Menschen haben die."
Ich stolzierte einher und streckte die Beine, um mich seinen Schritten anzupassen. Ich war hocherfreut, wenn meine Füße mit seinen mithalten konnten, rechts, dann links, dann wieder rechts, und wir marschierten wie eine Kompanie. Mein Vater war ein Meister der Kunststückchen; er konnte eine Stunde lang dasitzen und mit einem runden Löffel Tunnel in eine Wassermelone bohren, er konnte aus der Schale ein Schloss schnitzen.
Mein Vater war in Malaysia zur Welt gekommen, und er und meine Mutter emigrierten etliche Jahre vor meiner Geburt nach Kanada, wo sie sich zuerst in Montreal und schließlich in Vancouver niederließen. Während ich in die Beharrlichkeit des Regens von Vancouver hineingeboren wurde, stammte mein Vater aus einem Monsunland. Als ich klein war, versuchten meine Eltern, mir ihre Sprache beizubringen, doch sie ging mir nie leicht von der Zunge. Mein Vater fuhr mir mit dem Daumen sanft über den Mund, als wollte er begreifen, was mir solche Schwierigkeiten bereitete.
Details
Erscheinungsjahr: 2009
Genre: Romane & Erzählungen
Rubrik: Belletristik
Medium: Taschenbuch
Seiten: 208
Originaltitel: Simple Recipes
Inhalt: 208 S.
ISBN-13: 9783442740284
ISBN-10: 3442740282
Sprache: Deutsch
Einband: Kartoniert / Broschiert
Autor: Thien, Madeleine
Übersetzung: Almuth Carstens
btb verlag: btb Verlag
penguin random house verlagsgruppe gmbh: Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH
Maße: 188 x 120 x 17 mm
Von/Mit: Madeleine Thien
Erscheinungsdatum: 05.10.2009
Gewicht: 0,197 kg
preigu-id: 101617025
Details
Erscheinungsjahr: 2009
Genre: Romane & Erzählungen
Rubrik: Belletristik
Medium: Taschenbuch
Seiten: 208
Originaltitel: Simple Recipes
Inhalt: 208 S.
ISBN-13: 9783442740284
ISBN-10: 3442740282
Sprache: Deutsch
Einband: Kartoniert / Broschiert
Autor: Thien, Madeleine
Übersetzung: Almuth Carstens
btb verlag: btb Verlag
penguin random house verlagsgruppe gmbh: Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH
Maße: 188 x 120 x 17 mm
Von/Mit: Madeleine Thien
Erscheinungsdatum: 05.10.2009
Gewicht: 0,197 kg
preigu-id: 101617025
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