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Die Natur in der Soziologie
Gesellschaftliche Voraussetzungen und Folgen biotechnologischen Wissens
Taschenbuch von Thomas Lemke
Sprache: Deutsch

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Beschreibung
Einleitung: Die Natur in der Soziologie

Die Analyse des Verhältnisses zwischen Natur und Gesellschaft fand in der soziologischen Tradition lange Zeit wenig Aufmerksamkeit. Die Gründe für die "soziologische Abstinenz", wie Niklas Luhmann die analytische Konzentration auf eine rein innergesellschaftliche Perspektive einmal bezeichnet hat (1986: 11), waren zunächst wissenschaftshistorischer Art. Die Etablierung der Soziologie als neuer Wissenschaftsdisziplin Ende des 19. Jahrhunderts erforderte die Bestimmung eines eigenständigen Gegenstandsbereichs. Dabei spielte die Abgrenzung gegen klimatische, geografische und biologische Erklärungen sozialer Phänomene eine entscheidende Rolle für die Ausbildung des disziplinären Profils. Zeigten sich bei Karl Marx und Herbert Spencer als Vorläufer der soziologischen Tradition "Natur" und "Gesellschaft" noch weitgehend ungeschieden, finden sich bei Émile Durkheim, Max Weber und Georg Simmel kaum noch Bezüge auf die außer-soziale Realität. Bestimmend für die disziplinäre Selbstbegründung der Soziologie wurde schließlich die Durkheimsche Forderung, "die Erklärung des sozialen Lebens in der Natur der Gesellschaft selbst [zu] suchen". (Durkheim 1984: 186). In der Folge etabliert sich eine wissenschaftliche Arbeitsteilung, deren Charakteristikum darin besteht, Natur- und Sozialwissenschaften strikt voneinander getrennt zu halten (Brand 1998; Jahn/Wehling 1998; Görg 1999; Franklin 2002; Walker 2005).

In diesem konstitutiven Dualismus, der die Wissenschaftsentwicklung seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts prägte, bildet "Natur" besten-falls den Hintergrund für die soziologische Imagination. Diese enge Aus-richtung mochte für die Gründungsphase der Soziologie noch nützlich, vielleicht sogar notwendig gewesen sein, spätestens seit den 1970er Jahren wurde jedoch immer deutlicher, dass die "Austreibung der Natur aus der Soziologie" (Grundmann 1997: 535) nicht länger haltbar war. Anstöße für eine disziplinäre Neuorientierung seit den 1970er Jahren lieferten die öko-logische Krise, die mit der Thematisierung der "Grenzen des Wachstums" (Meadows 1972) und den großen Umweltkatastrophen von Seveso, Har-risburg und Bhopal ins öffentliche Bewusstsein trat; dazu kam der Kampf der Frauenbewegung und der Schwulen- und Lesbenbewegung um rechtli-che Gleichheit und soziale Anerkennung sowie die Innovationen der Gen- und Reproduktionstechnologien (Catton/Dunlap 1978; Diekmann/Jaeger 1996; Dickens 2004).

I. In der Folgezeit lassen sich zwei konträre forschungspraktische und theo-retische Antworten der Soziologie auf die "Naturfrage" ausmachen (vgl. dazu Scharping/Görg 1994; Rammert 1997; Wehling 1998; Rutherford 2000). Naturalistische Konzepte versprechen, die "vergessenen" oder "verdrängten" natürlichen Grundlagen gesellschaftlichen Lebens wieder in die Theorie zu integrieren. Sie favorisieren umweltdeterministische oder evolutionstheoretische Zugänge und begreifen gesellschaftliche Prozesse als mehr oder weniger direkten Ausdruck spezifischer Umweltbedingungen und/oder biologischer Charakteristika. Im Mittelpunkt steht dabei häufig das Ziel, natürliche Gesetze und Einwicklungsprozesse auszuweisen, um Kriterien für eine bessere Anpassung der Gesellschaft an eine ihr äußerliche Umwelt bzw. an die Materialität biologischer Prozesse zu gewinnen. Das theoretische Spektrum reicht von der Ökosystemforschung über humanökologisch inspirierte Ansätze bis hin zur Übernahme evolutionsbiologischer Konzepte in die Soziologie (s. beispielsweise Catton/Dunlap 1978; Jaeger 1996; Lopreato/Crippen 1999; Runciman 2000).

Demgegenüber suchen sozio-zentrische Ansätze den konstruktivisti-schen Charakter gesellschaftlicher Prozesse und Strukturen herauszustel-len. Dabei soll das etablierte soziologische Forschungs- und Analyseinstru-mentarium weiterentwickelt und auf neue Untersuchungsfelder übertragen werden - wobei allerdings die Relevanz natürlich-materialer Prozesse für die Erklärung sozialer Phänomene regelm

Einleitung: Die Natur in der Soziologie

Die Analyse des Verhältnisses zwischen Natur und Gesellschaft fand in der soziologischen Tradition lange Zeit wenig Aufmerksamkeit. Die Gründe für die "soziologische Abstinenz", wie Niklas Luhmann die analytische Konzentration auf eine rein innergesellschaftliche Perspektive einmal bezeichnet hat (1986: 11), waren zunächst wissenschaftshistorischer Art. Die Etablierung der Soziologie als neuer Wissenschaftsdisziplin Ende des 19. Jahrhunderts erforderte die Bestimmung eines eigenständigen Gegenstandsbereichs. Dabei spielte die Abgrenzung gegen klimatische, geografische und biologische Erklärungen sozialer Phänomene eine entscheidende Rolle für die Ausbildung des disziplinären Profils. Zeigten sich bei Karl Marx und Herbert Spencer als Vorläufer der soziologischen Tradition "Natur" und "Gesellschaft" noch weitgehend ungeschieden, finden sich bei Émile Durkheim, Max Weber und Georg Simmel kaum noch Bezüge auf die außer-soziale Realität. Bestimmend für die disziplinäre Selbstbegründung der Soziologie wurde schließlich die Durkheimsche Forderung, "die Erklärung des sozialen Lebens in der Natur der Gesellschaft selbst [zu] suchen". (Durkheim 1984: 186). In der Folge etabliert sich eine wissenschaftliche Arbeitsteilung, deren Charakteristikum darin besteht, Natur- und Sozialwissenschaften strikt voneinander getrennt zu halten (Brand 1998; Jahn/Wehling 1998; Görg 1999; Franklin 2002; Walker 2005).

In diesem konstitutiven Dualismus, der die Wissenschaftsentwicklung seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts prägte, bildet "Natur" besten-falls den Hintergrund für die soziologische Imagination. Diese enge Aus-richtung mochte für die Gründungsphase der Soziologie noch nützlich, vielleicht sogar notwendig gewesen sein, spätestens seit den 1970er Jahren wurde jedoch immer deutlicher, dass die "Austreibung der Natur aus der Soziologie" (Grundmann 1997: 535) nicht länger haltbar war. Anstöße für eine disziplinäre Neuorientierung seit den 1970er Jahren lieferten die öko-logische Krise, die mit der Thematisierung der "Grenzen des Wachstums" (Meadows 1972) und den großen Umweltkatastrophen von Seveso, Har-risburg und Bhopal ins öffentliche Bewusstsein trat; dazu kam der Kampf der Frauenbewegung und der Schwulen- und Lesbenbewegung um rechtli-che Gleichheit und soziale Anerkennung sowie die Innovationen der Gen- und Reproduktionstechnologien (Catton/Dunlap 1978; Diekmann/Jaeger 1996; Dickens 2004).

I. In der Folgezeit lassen sich zwei konträre forschungspraktische und theo-retische Antworten der Soziologie auf die "Naturfrage" ausmachen (vgl. dazu Scharping/Görg 1994; Rammert 1997; Wehling 1998; Rutherford 2000). Naturalistische Konzepte versprechen, die "vergessenen" oder "verdrängten" natürlichen Grundlagen gesellschaftlichen Lebens wieder in die Theorie zu integrieren. Sie favorisieren umweltdeterministische oder evolutionstheoretische Zugänge und begreifen gesellschaftliche Prozesse als mehr oder weniger direkten Ausdruck spezifischer Umweltbedingungen und/oder biologischer Charakteristika. Im Mittelpunkt steht dabei häufig das Ziel, natürliche Gesetze und Einwicklungsprozesse auszuweisen, um Kriterien für eine bessere Anpassung der Gesellschaft an eine ihr äußerliche Umwelt bzw. an die Materialität biologischer Prozesse zu gewinnen. Das theoretische Spektrum reicht von der Ökosystemforschung über humanökologisch inspirierte Ansätze bis hin zur Übernahme evolutionsbiologischer Konzepte in die Soziologie (s. beispielsweise Catton/Dunlap 1978; Jaeger 1996; Lopreato/Crippen 1999; Runciman 2000).

Demgegenüber suchen sozio-zentrische Ansätze den konstruktivisti-schen Charakter gesellschaftlicher Prozesse und Strukturen herauszustel-len. Dabei soll das etablierte soziologische Forschungs- und Analyseinstru-mentarium weiterentwickelt und auf neue Untersuchungsfelder übertragen werden - wobei allerdings die Relevanz natürlich-materialer Prozesse für die Erklärung sozialer Phänomene regelm

Details
Erscheinungsjahr: 2013
Genre: Recht, Sozialwissenschaften, Wirtschaft
Medium: Taschenbuch
Inhalt: 205 S.
ISBN-13: 9783593398624
ISBN-10: 3593398621
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Autor: Lemke, Thomas
Auflage: 1/2013
campus verlag: Campus Verlag
Maße: 215 x 143 x 14 mm
Von/Mit: Thomas Lemke
Erscheinungsdatum: 16.05.2013
Gewicht: 0,284 kg
Artikel-ID: 106159034
Details
Erscheinungsjahr: 2013
Genre: Recht, Sozialwissenschaften, Wirtschaft
Medium: Taschenbuch
Inhalt: 205 S.
ISBN-13: 9783593398624
ISBN-10: 3593398621
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Autor: Lemke, Thomas
Auflage: 1/2013
campus verlag: Campus Verlag
Maße: 215 x 143 x 14 mm
Von/Mit: Thomas Lemke
Erscheinungsdatum: 16.05.2013
Gewicht: 0,284 kg
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