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Berlin wird Festland
Roman, Reihe 1 9, Deutschsprachige und internationale Gegenwartsliteratur
Buch von Nicola Nürnberger
Sprache: Deutsch

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Beschreibung
Viele Höfe weiter im faszinierenden Industriedschungel war es ruhiger, die hohen Gewerbebauten wurden abgelöst durch einstöckige Flachdachbauten, einer in schreiender rosa Farbe, davor saßen Leute auf Klappstühlen, tranken Wein und diskutierten. Eine zur Seite gelegte Eisenplatte, große Scharniere daran, rechts unten geprägt mit der Aufschrift "VEB Eisenwerk 1. Mai Tangerhütte", gab ein großes Loch frei, in das sich Monty wie selbstverständlich hinunterließ.
"Kommt mir mal nach, hier kommt dann auch gleich eine richtige Treppe." Die schmale Stahltreppe wurde von einer Kerze, die in einem Stahlkorb stand, schwach beleuchtet. Monty sang: "Hab keine Angst vor Dunkelheit, frag nicht, wohin wir gehn. / Wir stolpern einfach vorwärts durch ein weiteres Jahrzehnt. / Mit vollem Bauch und leerem Kopf, auf einem Auge blind, auf der Suche nach Zufriedenheit und irgendeinem Sinn."

"Wir sind da", grinste Monty, "das hier ist das neue Berlin, der neue Osten. Unerwartet und unheimlich."
Auf dem rohen Steinboden, der von allerlei Rinnen durchzogen und durch große Zahnräder, weitere Tanks und komplexe Rohrsysteme verstellt war, stand allerlei aus Industrieschrott geschweißtes Mobiliar. Unter der Decke schwebte ein riesiges Reptil, das sich auf die Eintretenden zu stürzen schien.
Monty schrie zur eng an ihn herangerückten Gruppe: "Hier geht s erst ganz spät los, ab eins oder so. Dann isses hier gerammelt voll und alle tanzen. Hinter der Bar geht es hoch zu einem riesigen Plateau. Nicht, dass das meine Musik wäre, aber es hat echt Drive, es ist neu, die Leute hier sind ziemlich jung, die machen sich voll den Kopf frei. Für was Neues. Die wollen gar nicht wissen, was der Kohl sagt. Der alte Mann."

"Ich glaub, da findet ein Generationswechsel statt, dagegen können wir gar nichts machen. Wir so, die in den 80ern hier waren, hatten ja viel mit Kampf zu tun, Häuserkampf, Straßenkampf, allsowas. Und bei allem Pazifismus haben wir uns doch mit der Polizei gekloppt am 1. Mai und uns heimlich ins Schulheft den RAF-Stern mit der Kalaschnikow drin gemalt. Krieg, Kampf, Knarre waren so bestimmende Worte für viele, aber wir haben ausgedient, die Wiedervereinigung wird uns auffressen."

Er trank einen Schluck Bier, gegen die beginnende Heiserkeit half das aber nichts.
"Ich war im Sommer am Kudamm, da bin ich mit zwei Kumpels hin zu einer Kundgebung, da ging es um politische Häftlinge in den USA. Je näher wir an den Platz gekommen sind, umso seltsamer wurde das. Nix zu sehen von der üblichen schwarzen Demokostümierung, Hasskappen oder so, stattdessen so ne Art Karnevalswagen mit wummernder Musik und lauter aufgekratzte Teenies in Neonklamotten. Echt strange! Stellt sich dann raus, dass da parallel so ein Umzug mit Technomusik langzog, nannte sich Love-Parade . Total sinnfreie Transparente schleppten die mit sich rum, My House Is Your House And Your House Is Mine . Dem konnte ich ja noch was Soziales abgewinnen, aber manche hatten noch Shirts an aus dem Jahr zuvor, da stand tatsächlich Friede Freude Eierkuchen drauf."
Er schüttelte den Kopf und trank den letzten Schluck aus seiner Bierflasche.
"Nicht, dass ich das gut fände oder auch so sein will. Aber ganz klar: Das Berlin, West-Berlin genaugenommen, wie wir das hier als ummauerte kleine Schatzinsel hatten, gibt es nicht mehr. Alles wird anders."
Viele Höfe weiter im faszinierenden Industriedschungel war es ruhiger, die hohen Gewerbebauten wurden abgelöst durch einstöckige Flachdachbauten, einer in schreiender rosa Farbe, davor saßen Leute auf Klappstühlen, tranken Wein und diskutierten. Eine zur Seite gelegte Eisenplatte, große Scharniere daran, rechts unten geprägt mit der Aufschrift "VEB Eisenwerk 1. Mai Tangerhütte", gab ein großes Loch frei, in das sich Monty wie selbstverständlich hinunterließ.
"Kommt mir mal nach, hier kommt dann auch gleich eine richtige Treppe." Die schmale Stahltreppe wurde von einer Kerze, die in einem Stahlkorb stand, schwach beleuchtet. Monty sang: "Hab keine Angst vor Dunkelheit, frag nicht, wohin wir gehn. / Wir stolpern einfach vorwärts durch ein weiteres Jahrzehnt. / Mit vollem Bauch und leerem Kopf, auf einem Auge blind, auf der Suche nach Zufriedenheit und irgendeinem Sinn."

"Wir sind da", grinste Monty, "das hier ist das neue Berlin, der neue Osten. Unerwartet und unheimlich."
Auf dem rohen Steinboden, der von allerlei Rinnen durchzogen und durch große Zahnräder, weitere Tanks und komplexe Rohrsysteme verstellt war, stand allerlei aus Industrieschrott geschweißtes Mobiliar. Unter der Decke schwebte ein riesiges Reptil, das sich auf die Eintretenden zu stürzen schien.
Monty schrie zur eng an ihn herangerückten Gruppe: "Hier geht s erst ganz spät los, ab eins oder so. Dann isses hier gerammelt voll und alle tanzen. Hinter der Bar geht es hoch zu einem riesigen Plateau. Nicht, dass das meine Musik wäre, aber es hat echt Drive, es ist neu, die Leute hier sind ziemlich jung, die machen sich voll den Kopf frei. Für was Neues. Die wollen gar nicht wissen, was der Kohl sagt. Der alte Mann."

"Ich glaub, da findet ein Generationswechsel statt, dagegen können wir gar nichts machen. Wir so, die in den 80ern hier waren, hatten ja viel mit Kampf zu tun, Häuserkampf, Straßenkampf, allsowas. Und bei allem Pazifismus haben wir uns doch mit der Polizei gekloppt am 1. Mai und uns heimlich ins Schulheft den RAF-Stern mit der Kalaschnikow drin gemalt. Krieg, Kampf, Knarre waren so bestimmende Worte für viele, aber wir haben ausgedient, die Wiedervereinigung wird uns auffressen."

Er trank einen Schluck Bier, gegen die beginnende Heiserkeit half das aber nichts.
"Ich war im Sommer am Kudamm, da bin ich mit zwei Kumpels hin zu einer Kundgebung, da ging es um politische Häftlinge in den USA. Je näher wir an den Platz gekommen sind, umso seltsamer wurde das. Nix zu sehen von der üblichen schwarzen Demokostümierung, Hasskappen oder so, stattdessen so ne Art Karnevalswagen mit wummernder Musik und lauter aufgekratzte Teenies in Neonklamotten. Echt strange! Stellt sich dann raus, dass da parallel so ein Umzug mit Technomusik langzog, nannte sich Love-Parade . Total sinnfreie Transparente schleppten die mit sich rum, My House Is Your House And Your House Is Mine . Dem konnte ich ja noch was Soziales abgewinnen, aber manche hatten noch Shirts an aus dem Jahr zuvor, da stand tatsächlich Friede Freude Eierkuchen drauf."
Er schüttelte den Kopf und trank den letzten Schluck aus seiner Bierflasche.
"Nicht, dass ich das gut fände oder auch so sein will. Aber ganz klar: Das Berlin, West-Berlin genaugenommen, wie wir das hier als ummauerte kleine Schatzinsel hatten, gibt es nicht mehr. Alles wird anders."
Details
Erscheinungsjahr: 2014
Medium: Buch
Inhalt: 269 S.
ISBN-13: 9783944122113
ISBN-10: 3944122119
Sprache: Deutsch
Einband: Gebunden
Autor: Nürnberger, Nicola
open house verlag: Open House Verlag
inh. dr. rainer höltschl: Inh. Dr. Rainer Höltschl
Maße: 206 x 128 x 28 mm
Von/Mit: Nicola Nürnberger
Erscheinungsdatum: 09.12.2014
Gewicht: 0,393 kg
Artikel-ID: 105253194
Details
Erscheinungsjahr: 2014
Medium: Buch
Inhalt: 269 S.
ISBN-13: 9783944122113
ISBN-10: 3944122119
Sprache: Deutsch
Einband: Gebunden
Autor: Nürnberger, Nicola
open house verlag: Open House Verlag
inh. dr. rainer höltschl: Inh. Dr. Rainer Höltschl
Maße: 206 x 128 x 28 mm
Von/Mit: Nicola Nürnberger
Erscheinungsdatum: 09.12.2014
Gewicht: 0,393 kg
Artikel-ID: 105253194
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